Anlaesslich des wunderbaren Projekts, das meine Kinder bis 17 Uhr in der Schule fest haelt, lud die Direktorin der Schule die Eltern zu einer Versammlung. Allein das Wort "Assemblea" loest bei mir die Hoffnung auf politische Unruhe aus und nur allzu gern organisiere ich den Tag so, dass ich zur Versammlung gehen kann. 33 Kinder aus zwei Klassen sollen an dem Projekt teilnehmen und es sind auch recht viele Muetter relativ puenktlich da, kein Vater. Auf einer Art Podium sitzt die Direktorin, flankiert von einem Lehrer und drei Lehrerinnen. Sie stellt kurz das Projekt vor, es geht um Mathematik. Das Projekt nimmt einen Umfang von 50 Stunden in Anspruch, was bedeutet, dass die Kinder, zusaetzlich zu den zwei Tagen, an denen sie in der Schule essen, weitere drei Tage nachmittags in der Schule bleiben muessen. Ab jetzt geht es nur noch um Wurstbrote. Die Direktorin sagt, die Eltern werden nun aufgerufen und sollen ja zum Projekt sagen und ja, wenn sie Mensaservice wollten. Das nehme allerdings viel Zeit in Anspruch, gibt die Direktorin zu bedenken. Ein Raunen geht durch die Menge. Die Direktorin hebt die Stimme: die Mehrheit entscheide. "Nein, Maestra, keine Mensa!" ruft eine Mutter. Hinter mir wird eine Stimme laut: "Also wenn es Mensa gibt, dann kann ich mein Kind nicht schicken, mein Kind isst nicht in der Mensa." "Anna kann nicht jeden Tag Pasta essen!" ruft eine andere Mutter. "Mein Sohn darf nicht so viele Wurstbrote essen!" kommt es aus einem anderen Eck. Die Stimmung wird aufgeheizt. "Du? Was meinst du?" sagt die Mutter vom Schulfreund zu mir. Ich sage, dass alles Vor- und Nachteile hat. Ich gebe nicht zu, dass ich so gemein waere, meine Kinder fuer 1,50 Euro jeden Tag der gesundheitsgefaehrdenden Mensa auszusetzen. Die Stimme hinter mir wird gellend, ich kenne die Stimme, sie gehoert einer Frau, die ich bis vor 30 Sekunden als meine Freundin bezeichnet haette. Jetzt finde ich sie bizarr: "Kann ich meinem Sohn etwas kochen und mitgeben?" "Una Cotoletta!" kommt die Loesung von einer anderen Seite. Die Dirketorin wackelt mit ihren langen Ohrringen: "Bitte geben Sie ihm mit, was sie wollen, wir Lehrer haben keine Zeit, zu kochen, wir sind auch den ganzen Tag hier, wir geben uns mit Panino, Mortadella und Mozzarella zufrieden..." will sie den beunruhigten Muettern Mut machen. "Wir koennten alle gemeinsam Pizza bestellen!" will die Elternvertreterin schlichten. "Aber das ist doch auch trocken!" wirft eine andere Mutter ein. Spaeter denke ich, dass die Kinder alle Suppe zu Mittag essen muessen. Alle reden durcheinander: " Pizza, Pasta asciutta, Panino, Polpette, Dolci!". Eine Mutter ruft: "Wir bringen ab und zu einen Kuchen!" Sie freut sich ueber ihre gelungene Meldung. Hinter mir gibt meine Freundin nicht auf: "Aber wenn es Mensa gibt, kann ich meinen Sohn mit nach Hause nehmen? Mein Sohn isst nicht in der Mensa!" Sie findet kein Gehoer, das Podium diskutiert mit anderen Frauen ueber das Essen. Sie wiederholt lautstark mehrmals ihre Anfrage. Wie will sie denn das machen, sie ist doch auch berufstaetig, frage ich mich. Sie sagt immer, sie will ihn holen. "Ist nicht die Mensa besser, als ein verschimmeltes Kotelett?" fragt mich die Mutter des Schulkollegen hinter vorgehaltener Hand. "Das verschimmelt doch, wenn du es am Vorabend machst." Ich spuere, wie ich Atemnot bekomme. Die Zeit laueft davon, ich habe nur eine Stunde davon. Ich will weder abends noch morgens kochen, ich sehe mich schon Pizza fuer 33 Kinder einkaufen, ich bekomme die Panik. Die Panik haben hier alle. Meine Freundin will immer noch wissen, ob sie ihr Kind mittags abholen kann, falls es Mensaservice gibt. Die Direktorin sagt: "Warten Sie ab, die Mehrheit entscheidet." "Ich will doch nur wissen, was ich tun soll!" schreit sie mittlerweile gellend. Ich weiss, dass sie ebenso muede ist wie ich. Wenn ich reden wuerde, wuerde sich meine Stimme wahrscheinlich auch ueberschlagen. Die Direktorin klopft mit dem Stift auf den Tisch. Wahrscheinlich findet sie die Muetter der Schueler noch unertraeglicher als die Schueler. Sie beginnt, die Muetter abzufragen. Zum Projekt sagen alle ja, zur Mensa nein. Als ich an der Reihe bin, sagt sie selbst zum Thema Mensa "Ja, oder?". Ich bin uberrascht und fuehle mich wie eine Streikbrecherin, wieso weiss sie, dass ich fuer die Mensa bin? Haelt sie mich fuer einen Kibbuznik oder die Mensa fuer eine Art Volkskueche? Im Endeffekt wird nicht mehr ueber die Mensa gesprochen, denn alle haben sich fuer das Panino entschieden. Eine Mutter sorgt noch fuer Aufsehen, denn sie meint, sie muesse ihr Kind ja wohl gezwungenermassen zum Projekt schicken. "Nein," sagt die Direktorin, "das ist hier kein Gefaengnis." Die Mutter wendet sich ab, will sie ihre Traenen verbergen? "Ich bin nicht dafuer, dass die Kinder den ganzen Tag in der Schule sind." sagt sie verschaemt. Ich denke, dann lass ihn halt zu Hause, und bekomme Herzklopfen, aus Angst, das von mir so geliebte Projekt koennte jetzt zertruemmert werden. Der Lehrer sagt: "Kommen sie, Signora, geben sie ihrem Herzen einen Stoss!", aber die Mutter ist skeptisch. Ihr Sohn ist der kluegste in der Klasse. Hat sie Angst, er wuerde seine Intelligenz verlieren, wenn er mehr als 5 Stunden in der Schule bliebe? Vielleicht sollte ich meine Kinder nachmittags zu ihr schicken? Die Direktorin will wissen, ob es sonst noch Fragen gibt, eine Mutter meint: "Brauchen die Kinder Hefte?" Ich finde diese Frau intelligent. Die Direktorin wirkt muede, sie sagt, ja, kariert. Dann bekreuzigt sie sich und sagt: "Mit der Hilfe Gottes werden wir dieses Projekt schaffen."
Danach stellt der Lehrer seine geplanten Bildungsreisen vor. Da legen sie wieder los, die Muetter. Die vor mir fragt, ob die Eltern auch mitfahren duerfen, weil die Reiseziele so toll sind (Magna Grecia: Sizilien - Agrigent und Syrakus). Es wirkt ein wenig wie ein Angebot an den Lehrer, der sagt: "Sperren sie ihre Pizzeria halt einmal ein paar Tage zu und machen sie eine Reise!" Hinter mir wird meine Freundin aktiv: "Francesco faehrt sicher auf keine Bildungsreise mit!" Eh klar, da wuerde er vermutlich verhungern.
Eine Woche nach der Versammlung, aus der ich schliesslich gehetzt weglaufe, um das Kind von der Schule abzuholen, frage ich die grossen Kinder, ob sie eigentlich in der Mensa haetten essen wollen."NEIN!" kommt es ohne Zweifel. Sie essen naemlich neben ihren Wurstbroten die guten Sachen, die meine Freundin fuer Francesco kocht.
Donnerstag, 25. November 2010
Mittwoch, 24. November 2010
Lieblingsthema Schule
Was Saviano erzaehlt hat, geht mir nicht aus dem Kopf und ich muss immer an die Kinder denken, die in den Schulen in Crotone sitzen, in die der Giftmuell eingebaut ist. Vielleicht sind die Gebaeude ja geschlossen, was die Situation verbessern wuerde. Um mich zu beruhigen, denke ich an die Witze des Komikers Corrado Guzzanti, der ebenfalls in der Sendung "Vieni via con me" aufgetreten ist und dort eine Liste der Sprueche zum Besten gab, "die der Sendung nicht helfen werden". Einer von diesen war: "Der italienische Staat hat kein Geld fuer das Klopapier in den Schulen, Unterrichtsministerin Gelmini bittet, die Kinder mit bereits entleertem Darm in die Schule zu schicken." Das ist so lustig, weil es wahr ist. Letztes Jahr haben die Elternvertreter ueberlegt, ob sie eine Sammlung machen sollen, um das Klopapier zu kaufen.Im Moment spricht niemand davon, vielleicht hat sich ein privater Spender gefunden, ein lokaler Unternehmer zum Beispiel. Oder es gibt kein Klopapier und meine Kinder sagen nichts, weil sie mit einer Packung Taschentuecher ausgestattet sind? Ich muss nachfragen. Die Kinder gehen ohnehin ungern in der Schule aufs Klo, zumindest nicht, um sich dort zu entleeren. Daher sind zwei unserer drei Klos nach ihrem Heimkommen immer laenger besetzt, das dritte funktioniert entweder nicht, oder ich verteidige es, weil ich dort die Waschmaschine einraeume.
Mir persoenlich hat der Staat in Form der Schule meiner grossen Kinder ein Geschenk gemacht. Die Schule bekam ein Projekt bewilligt, in dem die Kinder 50 Stunden zusaetzlich Mathematik-Unterricht haben und daher bis Weihnachten jeden Tag bis 17 Uhr in der Schule sind. Da mein Leben bis vor 10 Tagen, bis vor dem wundersamen Auftauchen dieses Projekts, ein Kreuzweg war, der aus vormittaeglicher Arbeit und nachmittaeglichen Hausaufgaben bestand, sauge ich nun jede Minute meines Alleinseins begierig in mich auf, denn ab Januar heisst es dann wieder italienische Hausaufgaben korrigieren. Einmal habe ich meinen Sohn zu einer Poesie inspiriert zum Thema: Wenn ich der Herbst waere, mit welchen Farben wuerde ich mich kleiden. Leider strich die Lehrerin mit Rotstift das Gedicht durch und schrieb darunter: Rifare! Noch einmal schreiben. Ausserdem klebte auf dem Italienischheft des Kinds ein rosa Post-It, darauf stand: Der Rallyefahrer stoert, waehrend ich erklaere! Ich finde, das ist ihr Problem, aber ich fuehle mich genoetigt, erstens den Rallyefahrer zur Sau zu machen und am naechsten Tag wie Medea in der Schule einzufahren und die Lehrerin anzupfauchen. Sie sagt, sie mache das nur zu seinem Besten. "Das will ich hoffen". entschluepft es mir.
Daher bin ich dankbar, dass wir eine Zeit lang keine Italienischaufgaben machen muessen. Zum Glueck darf am Wochenende noch Geschichte und Geografie und Naturgeschichte gebueffelt werden, denn so erfahre ich etwas ueber das Steissbein und Alexander den Grossen. Ich druecke den begeisterten Kinder den Film Alexander von Oliver Stone rein und nach drei Minuten Film faellt MM ein, warum der Film von der Kritik mit Unbehagen aufgenommen wurde: er unterstreiche die vermutliche oder erwiesene Homosexualitaet Alexanders. Auweh! "Er hat ihn auf den Mund gekuesst!" stellt das Kind gleich verunsichert fest. "Sei still, das war damals so", ruegt ihn der Rallyefahrer und hoechstwahrscheinlich hat er recht. Das Ende sehe auch ich: Alexander wird in einer psychedelisch anmutenden Szene vom Pferd geworfen, sein Gegner sitzt auf einem sich aufbaeumenden Elefanten, die Bilder sind rot gefaerbt. Danach werden alle krank und die Maenner haben Kajal unter den Augen. Colin Farell als Alexander trinkt Gift und folgt seinem Geliebten Efaistos den Tod. Das Kind sagt: "Jetzt sind sie im Himmel wieder zusammen." Er versteht eben was von Liebe.
In Wikipedia lese ich, dass "Alexander" 2005 eine Art Oscar als schlechtester Film bekommen hat. Naja, manchmal darf man als eifrige Mutter auch daneben greifen.
Jedenfalls kommen nach den Griechen die Roemer im Geschichtebuch und Ben Hur haben wir bereits gesehen.
Mir persoenlich hat der Staat in Form der Schule meiner grossen Kinder ein Geschenk gemacht. Die Schule bekam ein Projekt bewilligt, in dem die Kinder 50 Stunden zusaetzlich Mathematik-Unterricht haben und daher bis Weihnachten jeden Tag bis 17 Uhr in der Schule sind. Da mein Leben bis vor 10 Tagen, bis vor dem wundersamen Auftauchen dieses Projekts, ein Kreuzweg war, der aus vormittaeglicher Arbeit und nachmittaeglichen Hausaufgaben bestand, sauge ich nun jede Minute meines Alleinseins begierig in mich auf, denn ab Januar heisst es dann wieder italienische Hausaufgaben korrigieren. Einmal habe ich meinen Sohn zu einer Poesie inspiriert zum Thema: Wenn ich der Herbst waere, mit welchen Farben wuerde ich mich kleiden. Leider strich die Lehrerin mit Rotstift das Gedicht durch und schrieb darunter: Rifare! Noch einmal schreiben. Ausserdem klebte auf dem Italienischheft des Kinds ein rosa Post-It, darauf stand: Der Rallyefahrer stoert, waehrend ich erklaere! Ich finde, das ist ihr Problem, aber ich fuehle mich genoetigt, erstens den Rallyefahrer zur Sau zu machen und am naechsten Tag wie Medea in der Schule einzufahren und die Lehrerin anzupfauchen. Sie sagt, sie mache das nur zu seinem Besten. "Das will ich hoffen". entschluepft es mir.
Daher bin ich dankbar, dass wir eine Zeit lang keine Italienischaufgaben machen muessen. Zum Glueck darf am Wochenende noch Geschichte und Geografie und Naturgeschichte gebueffelt werden, denn so erfahre ich etwas ueber das Steissbein und Alexander den Grossen. Ich druecke den begeisterten Kinder den Film Alexander von Oliver Stone rein und nach drei Minuten Film faellt MM ein, warum der Film von der Kritik mit Unbehagen aufgenommen wurde: er unterstreiche die vermutliche oder erwiesene Homosexualitaet Alexanders. Auweh! "Er hat ihn auf den Mund gekuesst!" stellt das Kind gleich verunsichert fest. "Sei still, das war damals so", ruegt ihn der Rallyefahrer und hoechstwahrscheinlich hat er recht. Das Ende sehe auch ich: Alexander wird in einer psychedelisch anmutenden Szene vom Pferd geworfen, sein Gegner sitzt auf einem sich aufbaeumenden Elefanten, die Bilder sind rot gefaerbt. Danach werden alle krank und die Maenner haben Kajal unter den Augen. Colin Farell als Alexander trinkt Gift und folgt seinem Geliebten Efaistos den Tod. Das Kind sagt: "Jetzt sind sie im Himmel wieder zusammen." Er versteht eben was von Liebe.
In Wikipedia lese ich, dass "Alexander" 2005 eine Art Oscar als schlechtester Film bekommen hat. Naja, manchmal darf man als eifrige Mutter auch daneben greifen.
Jedenfalls kommen nach den Griechen die Roemer im Geschichtebuch und Ben Hur haben wir bereits gesehen.
Dienstag, 23. November 2010
Vieni via con me
Auf der Suche nach einem wischfesten Filzstift (wie heisst denn das auf deutsch eigentlich), komme ich an meinem Computer vorbei. Im rosa Zimmer ist es dunkel, denn nun gibt sich der Sueden den Umwettern hin, die zuvor dem Norden zu schaffen machten. Die Zitronen unterhalb meines Fensters reifen dennoch unbeirrt. Das Baeumchen hat die Zementattacken der Maurer ueberlebt.
Vier Monate lang bin ich taeglich beruflich viele Stunden an meinem Computer gesessen, habe den Rest der Zeit meine Familie betreut und sonst recht wenig von der Welt mitbekommen. Seit einer Woche ist meine Arbeit fertig und ich bin ein Uebersiedlungsunternehmen geworden, das mit maessigem Erfolg schleppend vor sich hin arbeitet. Aber ich hoere nun stundenlang Radio und weiss wieder viel zu viel von dem, was in Italien abgeht. Gestern haben wir sogar fern gesehen, nachdem die Kinder im Bett waren. Auf einem winzigen TV-Geraet mit ausziehbarer Antenne, denn eine Satellitenschuessel oder aehnliches gibt es hier noch nicht. Es gibt naemlich noch die wenigen Momente, in denen die Menschen sagen duerfen, was sie denken, und eine dieser kostbaren Moeglichkeiten ist die Sendung "Vieni via con me" (ein Lied von Paolo Conte) von Fabio Fazio und Roberto Saviano. Wir sehen die Sendung gemeinsam mit 10 Millionen anderer Menschen, ist das nicht schoen? Was gesagt wird, ist nicht schoen, aber es tut gut, dass es gesagt wird. Dass der Berg des Muells, den die kriminellen Organisationen anhauefen, 15800 Meter hoch waere oder ist. Dass was in die Muellhalden um Neapel kommt, aus dem Norden stammt und dass damit Geld verdient wird und zwar viel. Allein 8 Milliarden Euro wurden fuer die Loesung des Problems in den letzten 10 Jahren ausgegeben. Geloest wurde das Problem laut Aussage des italienischen Premierministers nun rasch und effizient. In seiner Phantasie. Die Menschen werden fuer dumm verkauft und krank gemacht.
Wir, die wird nicht in der Gegend von Neapel leben, sondern noch naeher an Afrika, haben fuer unseren ganzen Ortsteil zwei Muelltonnen, die etwa drei Kilometer von unserem Haus entfernt sind. Als ich die Muellabfuhr auf der Gemeinde auf unseren Namen schreiben lassen will, rufe ich zuerst bei den Konsumentenvereinigung an und frage, ob es ein Gesetz gibt, das besagt, wie weit die Muelltonne der Gemeinde von den Buergern entfernt sein darf. Aber diesebezueglich gibt es nur eine Hygieneverordnung der Gemeinde. "Sie zahlen ohnehin weniger", sagt der Mann auf der Gemeinde irritiert. In unserem Ortsteil, der sich ueber einen Huegel erstreckt, muessen die Menschen ihren Mist mit dem Auto zur Tonne fahren. Wer kein Auto hat, bringt den Muell mit dem oeffentlichen kleinen Autobus. Muelltrennung gibt es keine. Es gibt in Sueditalien auch kaum Stellen, an denen man leere Batterien abgeben kann und bei meinen Versuchen, abgelaufene Medikamente in die Apotheke zu bringen, habe ich die Apothekerin in Angst versetzt. Ich denke, sie hat meine Medikamente in ihren Hausmuell geworfen. Natuerlich verbrennen die Menschen ihren Muell. Auf dem Huegel gegenueber unserem Haus sehe ich abends bei gutem Wetter immer eine kleine Rauchfahne, mal vor dem einen Haus, mal vor dem anderen. Ich bringe unsere leeren Weinflaschen zum Altglascontainer in den Ort, wo wir frueher gewohnt haben, ich zahle dort auch noch fuer den Muell, aber es gelingt mir nicht, die Flaschen in den Container zu stopfen. Hier hat schon lange kein Altglastransport stattgefunden.
Jetzt stapeln sich die leeren Weinflaschen neben den Kinderschuhen. Aber die Vorstellung, angesichts der Verwuestung unseres Planeten nur noch Wasser aus dem Krug zu trinken, ist auch nicht angenehm. Wo der ganze Mist hinkommt, weiss ich nicht. Aber als ich letztens hoerte, dass ein Radiopraesentator ein Buch geschrieben hat, in dem er die einzelnen Menschen auffordert, das ihre zur Problemloesung beizutragen und Muell zu trennen, haette ich fast beim Radio angerufen. Aber ich bin keine gute Anruferin. Ich bewundere all diese Menschen, denen Furchtbares angetan wird und die mit fester Stimme erzaehlen, was passiert ist. Ich hingegen habe vor ein paar Tagen bei einer Verkehrskontrolle aus Wut zu heulen begonnen, das habe ich allerdings niemandem erzaehlt. Wenn ich in der Schule anrufen muss, bittet mich MM, an Che Guevara zu denken, der die Revolution mit Zaertlichkeit gemacht hat. Dass MM an den Che denkt, erfuellt dann mich mit Zaertlichkeit, aber am Telefon moechte ich doch schreien, die Lehrerinnen lassen mich allerdings ohnehin nicht zu Wort kommen. Lieber doch im Radio anrufen, dort wird man wenigstens nicht unterbrochen.
Vier Monate lang bin ich taeglich beruflich viele Stunden an meinem Computer gesessen, habe den Rest der Zeit meine Familie betreut und sonst recht wenig von der Welt mitbekommen. Seit einer Woche ist meine Arbeit fertig und ich bin ein Uebersiedlungsunternehmen geworden, das mit maessigem Erfolg schleppend vor sich hin arbeitet. Aber ich hoere nun stundenlang Radio und weiss wieder viel zu viel von dem, was in Italien abgeht. Gestern haben wir sogar fern gesehen, nachdem die Kinder im Bett waren. Auf einem winzigen TV-Geraet mit ausziehbarer Antenne, denn eine Satellitenschuessel oder aehnliches gibt es hier noch nicht. Es gibt naemlich noch die wenigen Momente, in denen die Menschen sagen duerfen, was sie denken, und eine dieser kostbaren Moeglichkeiten ist die Sendung "Vieni via con me" (ein Lied von Paolo Conte) von Fabio Fazio und Roberto Saviano. Wir sehen die Sendung gemeinsam mit 10 Millionen anderer Menschen, ist das nicht schoen? Was gesagt wird, ist nicht schoen, aber es tut gut, dass es gesagt wird. Dass der Berg des Muells, den die kriminellen Organisationen anhauefen, 15800 Meter hoch waere oder ist. Dass was in die Muellhalden um Neapel kommt, aus dem Norden stammt und dass damit Geld verdient wird und zwar viel. Allein 8 Milliarden Euro wurden fuer die Loesung des Problems in den letzten 10 Jahren ausgegeben. Geloest wurde das Problem laut Aussage des italienischen Premierministers nun rasch und effizient. In seiner Phantasie. Die Menschen werden fuer dumm verkauft und krank gemacht.
Wir, die wird nicht in der Gegend von Neapel leben, sondern noch naeher an Afrika, haben fuer unseren ganzen Ortsteil zwei Muelltonnen, die etwa drei Kilometer von unserem Haus entfernt sind. Als ich die Muellabfuhr auf der Gemeinde auf unseren Namen schreiben lassen will, rufe ich zuerst bei den Konsumentenvereinigung an und frage, ob es ein Gesetz gibt, das besagt, wie weit die Muelltonne der Gemeinde von den Buergern entfernt sein darf. Aber diesebezueglich gibt es nur eine Hygieneverordnung der Gemeinde. "Sie zahlen ohnehin weniger", sagt der Mann auf der Gemeinde irritiert. In unserem Ortsteil, der sich ueber einen Huegel erstreckt, muessen die Menschen ihren Mist mit dem Auto zur Tonne fahren. Wer kein Auto hat, bringt den Muell mit dem oeffentlichen kleinen Autobus. Muelltrennung gibt es keine. Es gibt in Sueditalien auch kaum Stellen, an denen man leere Batterien abgeben kann und bei meinen Versuchen, abgelaufene Medikamente in die Apotheke zu bringen, habe ich die Apothekerin in Angst versetzt. Ich denke, sie hat meine Medikamente in ihren Hausmuell geworfen. Natuerlich verbrennen die Menschen ihren Muell. Auf dem Huegel gegenueber unserem Haus sehe ich abends bei gutem Wetter immer eine kleine Rauchfahne, mal vor dem einen Haus, mal vor dem anderen. Ich bringe unsere leeren Weinflaschen zum Altglascontainer in den Ort, wo wir frueher gewohnt haben, ich zahle dort auch noch fuer den Muell, aber es gelingt mir nicht, die Flaschen in den Container zu stopfen. Hier hat schon lange kein Altglastransport stattgefunden.
Jetzt stapeln sich die leeren Weinflaschen neben den Kinderschuhen. Aber die Vorstellung, angesichts der Verwuestung unseres Planeten nur noch Wasser aus dem Krug zu trinken, ist auch nicht angenehm. Wo der ganze Mist hinkommt, weiss ich nicht. Aber als ich letztens hoerte, dass ein Radiopraesentator ein Buch geschrieben hat, in dem er die einzelnen Menschen auffordert, das ihre zur Problemloesung beizutragen und Muell zu trennen, haette ich fast beim Radio angerufen. Aber ich bin keine gute Anruferin. Ich bewundere all diese Menschen, denen Furchtbares angetan wird und die mit fester Stimme erzaehlen, was passiert ist. Ich hingegen habe vor ein paar Tagen bei einer Verkehrskontrolle aus Wut zu heulen begonnen, das habe ich allerdings niemandem erzaehlt. Wenn ich in der Schule anrufen muss, bittet mich MM, an Che Guevara zu denken, der die Revolution mit Zaertlichkeit gemacht hat. Dass MM an den Che denkt, erfuellt dann mich mit Zaertlichkeit, aber am Telefon moechte ich doch schreien, die Lehrerinnen lassen mich allerdings ohnehin nicht zu Wort kommen. Lieber doch im Radio anrufen, dort wird man wenigstens nicht unterbrochen.
Freitag, 22. Oktober 2010
Non è facile
Das Telefon der Dattilografa ist seit 2 Wochen ausser Betrieb und somit auch das Internet. Dabei haette Dattilografa viel zu schreiben. Zum Beispiel, dass wir vier Tage kein Wasser hatten, und dass die Telecom nach zahlreichen Anrufen von mir und dem Besuch eines Technikers heute feststellt, es waere nie ein Schaden gemeldet worden und ich koenne den Schaden nur melden, wenn ich zu Hause sei. Da ich aber zu Hause keinen Mobilfunkempfang habe, werde ich den Schaden, den ich vor zwei Wochen gemeldet habe, theoretisch nie melden koennen. So leben wir unbehelligt von der Aussenwelt in einem Roman von Franz Kafka. Dabei regnet es manchmal und manchmal so stark und so lang, dass Schlammmassen die Strasse versperren. Das sind apokalyptische Bilder, die sich da vor den Augen der Dattilografa auftun, die ihre Kinder auf dem Schulweg das 1x1 abfragt. 8x7 ist 56 und da liegt ein Baum auf der Strasse, 7x7 ist 49, hier rast braunes Wasser Treppen runter. Die Scheibenwischer quietschen.
Das war vor drei Tagen, heute sind noch Aufraeumarbeiten zu sehen, ueberall dort, wo ein betroffenes Gebiet ist, was in unserem neuen Ort zum Gleuck nicht der Fall ist, stehen Wischbesen vor den Tueren, kleine Bagger schaufeln immer noch Schlammberge weg. Geroell ist den Berghang runtergekommen. Alles ist braun. Als ich mit dem Autobus in der Stadt ankomme, bin ich sehr muede und zerknautscht. Du schaust aus, als kaemst du aus dem Krieg, sagt MM. So fuehle ich mich. Ich denke ja schon lange, dass in diesem Land irgendwann ein Buergerkrieg ausbrechen wird und ich glaube, er hat begonnen. In deolizei greift sie an. Hier sind die Schueler der hoeheren Schulen nicht mehr in der Schule, sondern auf der Strasse, an den Schulen haengen Leintuecher, auf denen steht: "Autogestione", Selbstverwaltung.
Auf meiner Autobusfahrt sehe ich unterhalb der Geroellhalde meinen gehenden Mann, halb in einer Muelltonne verschwunden. Es ist das erste Mal, dass ich ihn so sehe. sein Rucksack liegt neben ihm auf dem Boden. Er ist sehr gross, er kann sich auch in eine grosse Muelltonne beugen. "Prima di fare un lungo viaggio, pensa di non tornarci più" sang eben noch Irene Grandi aus dem Radio im Autobus. Bevor du eine lange Reise machst, stell dir vor, nicht mehr zurueck zu kommen. "Non è facile, ma è tutto qui." Es ist nicht leicht, aber es ist alles schon da. Es ist alles schon da. Aber viel ist es nicht.
Das war vor drei Tagen, heute sind noch Aufraeumarbeiten zu sehen, ueberall dort, wo ein betroffenes Gebiet ist, was in unserem neuen Ort zum Gleuck nicht der Fall ist, stehen Wischbesen vor den Tueren, kleine Bagger schaufeln immer noch Schlammberge weg. Geroell ist den Berghang runtergekommen. Alles ist braun. Als ich mit dem Autobus in der Stadt ankomme, bin ich sehr muede und zerknautscht. Du schaust aus, als kaemst du aus dem Krieg, sagt MM. So fuehle ich mich. Ich denke ja schon lange, dass in diesem Land irgendwann ein Buergerkrieg ausbrechen wird und ich glaube, er hat begonnen. In deolizei greift sie an. Hier sind die Schueler der hoeheren Schulen nicht mehr in der Schule, sondern auf der Strasse, an den Schulen haengen Leintuecher, auf denen steht: "Autogestione", Selbstverwaltung.
Auf meiner Autobusfahrt sehe ich unterhalb der Geroellhalde meinen gehenden Mann, halb in einer Muelltonne verschwunden. Es ist das erste Mal, dass ich ihn so sehe. sein Rucksack liegt neben ihm auf dem Boden. Er ist sehr gross, er kann sich auch in eine grosse Muelltonne beugen. "Prima di fare un lungo viaggio, pensa di non tornarci più" sang eben noch Irene Grandi aus dem Radio im Autobus. Bevor du eine lange Reise machst, stell dir vor, nicht mehr zurueck zu kommen. "Non è facile, ma è tutto qui." Es ist nicht leicht, aber es ist alles schon da. Es ist alles schon da. Aber viel ist es nicht.
Freitag, 8. Oktober 2010
Brillant
Freitags darf ich ausser Haus. Dann arbeite ich auswaerts. Als ich nach Hause komme, finde ich die Pasta mehr oder weniger fertig auf dem Tisch und rundherum mehr oder weniger nach mir sehnsuechtige kleine oder grosse Maenner. Bei Tisch sagt MM, er haette jemanden getroffen, der mich sehr gruessen liesse, ich solle raten wer, eine brillante Person. Ich sage: eine Frau oder ein Mann? Eine Frau. "Er hat dich verlassen" kommt es trocken von der Seite des Rallyefahrers, der eben etwa sechs Penne in den Mund steckt. Ich rate. Eine Frau, die MM um den Hals faellt und so brillant ist, zu sagen: wie war noch mal dein Name (?). Ich bezichtige Frauen unseres Bekanntenkreises dieses Schwachsinns. Aber es ist Mathilde. "Er hat dich verlassen." setzt der Rallyefahrer nach. Und schiebt wieder sechs bis sieben Penne in den entspannten Mund. Nein wirklich, Mathilde, Begeisterung.
Ich werde in Kenntnis gesetzt, was Mathilde eben macht. Ich finde Mathilde auch super. Der Rallyefahrer ist von seiner Theorie ueberzeugt, er steht auf mit den Worten: "Hat er dir je gesagt, dass du brillant bist?" traegt seinen Teller in die Kueche, holt einen Apfel, gibt mir ein Messer und sagt: "Bitte schaelen, so wie immer."
Mathilde hat auch zwei Soehne, die sind aber noch klein, sie wird sich noch wundern. In der Schule hat der Rallyefahrer schlechte Noten, weil er die Dinge, die er lernt, verwirrend wiedergibt, bzw. lange ueberhaupt nicht wiedergegeben hat, da er sich von Wiederholungen nicht betroffen fuehlte.
Und muede im Bett liegend sagt er: Ich kann es kaum erwarten, dass Sonntag ist. (Am Samstag ist aber ein Geburstagsfest!)Ich sage: Wieso, was ist am Sonntag? Nichts, antwortet er,dreht sich um und schlaeft ein.
Ich werde in Kenntnis gesetzt, was Mathilde eben macht. Ich finde Mathilde auch super. Der Rallyefahrer ist von seiner Theorie ueberzeugt, er steht auf mit den Worten: "Hat er dir je gesagt, dass du brillant bist?" traegt seinen Teller in die Kueche, holt einen Apfel, gibt mir ein Messer und sagt: "Bitte schaelen, so wie immer."
Mathilde hat auch zwei Soehne, die sind aber noch klein, sie wird sich noch wundern. In der Schule hat der Rallyefahrer schlechte Noten, weil er die Dinge, die er lernt, verwirrend wiedergibt, bzw. lange ueberhaupt nicht wiedergegeben hat, da er sich von Wiederholungen nicht betroffen fuehlte.
Und muede im Bett liegend sagt er: Ich kann es kaum erwarten, dass Sonntag ist. (Am Samstag ist aber ein Geburstagsfest!)Ich sage: Wieso, was ist am Sonntag? Nichts, antwortet er,dreht sich um und schlaeft ein.
Donnerstag, 7. Oktober 2010
back to the roots
Im neuen Haus, unter neuen Umstaenden, bekomme ich vom Leben draussen noch weniger mit als vorher. Silvio Berlusconi kann mich nicht mehr aergern.Ich fahre taeglich eineinhalb Stunden meine Kinder in die Schule und wieder nach Hause und das Autoradio funktioniert so schlecht, dass wir lieber ueber Zellstrukturen und die Polis der Griechen sprechen. (Oder ueber Computerspiele).
MM, der im Hier und Jetzt arbeitet, erzaehlt von der Donau und ich frage mich, ob ich da noch schreiben soll und darf was ich mir heute unter der Dusche gedacht habe.
Unter der Dusche denke ich an den Herzinfarkt und zwar nicht an meinen, sondern an den, von dem MM sich bedroht fuehlt. Vor ein paar Tagen haben MM und ich etwas, was der Rallyefahrer in einem Moment der Erkenntnis als "Tragoedie" bezeichnet, denn die Griechen hatten eben Komoedien (die kennen wir, da haben wir viele DVDs davon) und Tragoedien,da wo es nichts zu lachen gibt, das haben wir in der Realitaet. Das, was MM und ich hatten, war einfach ein gewaltiger Streit, aus Gruenden, die fuer andere banal sein moegen, denn keiner von uns beiden hat den anderen bei einem ausschweifenden ausserehelichen Sexualleben erwischt, nicht einmal beim Gedanken daran, und keiner wurde der Spiel-, Drogen- oder anderen Sucht verdaechtigt. Der Streit hatte es dennoch so in sich,dass ich bei einem heftigen Geraeusch aus dem oberen Stockwerk doch nachschauen ging, ob mein wuetender Ehemann nun mit einem Herzinfarkt auf dem Boden lag. Denn, und das dachte ich auch unter der Dusche, wir waeren nicht die ersten, die am Hausbau krepieren. MM lag allerdings nicht tot auf dem Boden, sondern auf dem Gaestebett, das er in sein unfertiges Arbeitszimmer gezogen hatte, und las die Zeitung.
Aber mein Onkel Bert ist am Haubau gestorben. Und ploetzlich war mir klar, unter dem heissen Wasser, dass vieles aus dem letzten Jahr mit dem Onkel zu tun hatte, der gestorben war, als ich vielleicht sechs Jahre alt war.
Der Onkel war Pfleger in einer Anstalt gewesen, die wir damals noch bedenkenlos Irrenhaus nannten. Am Sonntag wanderte die kleine Dattilografa mit ihrer Kakaoflasche in der Hand durch das Gelaende, auf dem die Irren mit ihren Lodenmaenteln unterwegs waren. Manche durften auch nicht spazieren gehen, die schrien aus den vergitterten Fenstern. Der Onkel war gross, sehr gross, sehr duenn, freundlich und herzkrank. Er war der Mann von der Tante und hatte vier Soehne, die die kleine Dattilografa zu heiraten gedachte. Zwei davon waren Zwillinge, einer davon wuerde Herr Dattilografa werden. Da der Onkel herzkrank war, hatte er feine rote Aederchen auf den Wangen. Er lachte viel und hatte eine dezente Zahnluecke auf der linken Seite. Aus irgendeinem Grund hatten Onkel und Tante beschlossen, das Gelaende der Irren, wo sie in einem angrenzenden Haus wohnten, zu verlassen, und ein eigenes Haus zu bauen. Das hat der Onkel nicht ueberlebt.
Am Tag nach der "Tragoedie" sage ich zu MM, er soll nicht mehr so viel arbeiten, es ist wurscht, wie lange wir da noch im Zement hausen. Ja, sagt er, er sei muede.
Jetzt muss ich nicht nur immer nachschauen, ob die Kinder noch atmen, sondern auch, ob MM noch am Leben ist.
Und der Onkel hat seinen Doppelgaenger in unserem herzkranken Obermaurer gefunden, der hier ueberall seine Spuren hinterlassen hat. Wer doppelt so viel Geld wie wir in seine Hausrenovierung stecken kann, der hat jetzt entweder ein fertiges Haus oder eben eine Baustelle, auf der er nicht unbedingt leben muss. MM bezeichnet es ein Glueck, dass wir hier sind und alle Maengel selbst kennenlernen koennen und ich glaube, das meint er gar nicht esoterisch. Beim ersten starken Regen haenge ich am Telefon und bruelle: wer ist fuer diesen Swimmingpool vor dem Haus verantwortlich? Ich sehe mich schon mit dem Regenmantel Cape-Fear-artig den Obermaurer abstechen, bis MM mir sagt, ich soll die Blaetter von den Abflussloechern im Boden nehmen. Es gibt also einiges, was ich finde, dass der Obermaurer mit seinem Team nicht so toll gemacht hat, oder zumindest moechte ich ihm gerne einiges unterstellen, aber dennoch freue ich mich immer, wenn ich ihn in seinem roten Lastwagen oder in seinem ebenso roten Fiorino auf der Strasse treffe, denn er ist eben, wie ich seit meiner heutigen Dusche weiss, die Reinkarnation von Onkel Bert. Operieren hat er sich auch noch nicht lassen, komisch, dass die Angst, sich das Brustbein zertruemmern zu lassen, groesser ist, als die Angst, zu sterben. Weil wir uns das Sterben nicht vorstellen koennen, das Zertruemmern aber schon.
MM, der im Hier und Jetzt arbeitet, erzaehlt von der Donau und ich frage mich, ob ich da noch schreiben soll und darf was ich mir heute unter der Dusche gedacht habe.
Unter der Dusche denke ich an den Herzinfarkt und zwar nicht an meinen, sondern an den, von dem MM sich bedroht fuehlt. Vor ein paar Tagen haben MM und ich etwas, was der Rallyefahrer in einem Moment der Erkenntnis als "Tragoedie" bezeichnet, denn die Griechen hatten eben Komoedien (die kennen wir, da haben wir viele DVDs davon) und Tragoedien,da wo es nichts zu lachen gibt, das haben wir in der Realitaet. Das, was MM und ich hatten, war einfach ein gewaltiger Streit, aus Gruenden, die fuer andere banal sein moegen, denn keiner von uns beiden hat den anderen bei einem ausschweifenden ausserehelichen Sexualleben erwischt, nicht einmal beim Gedanken daran, und keiner wurde der Spiel-, Drogen- oder anderen Sucht verdaechtigt. Der Streit hatte es dennoch so in sich,dass ich bei einem heftigen Geraeusch aus dem oberen Stockwerk doch nachschauen ging, ob mein wuetender Ehemann nun mit einem Herzinfarkt auf dem Boden lag. Denn, und das dachte ich auch unter der Dusche, wir waeren nicht die ersten, die am Hausbau krepieren. MM lag allerdings nicht tot auf dem Boden, sondern auf dem Gaestebett, das er in sein unfertiges Arbeitszimmer gezogen hatte, und las die Zeitung.
Aber mein Onkel Bert ist am Haubau gestorben. Und ploetzlich war mir klar, unter dem heissen Wasser, dass vieles aus dem letzten Jahr mit dem Onkel zu tun hatte, der gestorben war, als ich vielleicht sechs Jahre alt war.
Der Onkel war Pfleger in einer Anstalt gewesen, die wir damals noch bedenkenlos Irrenhaus nannten. Am Sonntag wanderte die kleine Dattilografa mit ihrer Kakaoflasche in der Hand durch das Gelaende, auf dem die Irren mit ihren Lodenmaenteln unterwegs waren. Manche durften auch nicht spazieren gehen, die schrien aus den vergitterten Fenstern. Der Onkel war gross, sehr gross, sehr duenn, freundlich und herzkrank. Er war der Mann von der Tante und hatte vier Soehne, die die kleine Dattilografa zu heiraten gedachte. Zwei davon waren Zwillinge, einer davon wuerde Herr Dattilografa werden. Da der Onkel herzkrank war, hatte er feine rote Aederchen auf den Wangen. Er lachte viel und hatte eine dezente Zahnluecke auf der linken Seite. Aus irgendeinem Grund hatten Onkel und Tante beschlossen, das Gelaende der Irren, wo sie in einem angrenzenden Haus wohnten, zu verlassen, und ein eigenes Haus zu bauen. Das hat der Onkel nicht ueberlebt.
Am Tag nach der "Tragoedie" sage ich zu MM, er soll nicht mehr so viel arbeiten, es ist wurscht, wie lange wir da noch im Zement hausen. Ja, sagt er, er sei muede.
Jetzt muss ich nicht nur immer nachschauen, ob die Kinder noch atmen, sondern auch, ob MM noch am Leben ist.
Und der Onkel hat seinen Doppelgaenger in unserem herzkranken Obermaurer gefunden, der hier ueberall seine Spuren hinterlassen hat. Wer doppelt so viel Geld wie wir in seine Hausrenovierung stecken kann, der hat jetzt entweder ein fertiges Haus oder eben eine Baustelle, auf der er nicht unbedingt leben muss. MM bezeichnet es ein Glueck, dass wir hier sind und alle Maengel selbst kennenlernen koennen und ich glaube, das meint er gar nicht esoterisch. Beim ersten starken Regen haenge ich am Telefon und bruelle: wer ist fuer diesen Swimmingpool vor dem Haus verantwortlich? Ich sehe mich schon mit dem Regenmantel Cape-Fear-artig den Obermaurer abstechen, bis MM mir sagt, ich soll die Blaetter von den Abflussloechern im Boden nehmen. Es gibt also einiges, was ich finde, dass der Obermaurer mit seinem Team nicht so toll gemacht hat, oder zumindest moechte ich ihm gerne einiges unterstellen, aber dennoch freue ich mich immer, wenn ich ihn in seinem roten Lastwagen oder in seinem ebenso roten Fiorino auf der Strasse treffe, denn er ist eben, wie ich seit meiner heutigen Dusche weiss, die Reinkarnation von Onkel Bert. Operieren hat er sich auch noch nicht lassen, komisch, dass die Angst, sich das Brustbein zertruemmern zu lassen, groesser ist, als die Angst, zu sterben. Weil wir uns das Sterben nicht vorstellen koennen, das Zertruemmern aber schon.
Dienstag, 7. September 2010
Promemoria: la conserva
Ende August, Anfang September werden in jedem guten sueditalienischen Haushalt die Tomatensaucevorraete fuer das ganze Jahr angelegt. Frueher waren wir Geringverbraucher und haben aus Freundlichkeit meiner Schwiegermutter bei der Herstellung ihrer 50 Flaschen Salsa geholfen und dafuer die eine oder andere im Lauf des Jahres mitgenommen. Letztes Jahr haben wir bereits 100 kg Tomaten fuer uns verarbeitet und da wir ab Maerz keine Ressourecen mehr hatten, haben wir heuer 150 kg Tomaten fuer 50 Cent pro Kilo bestellt und sind am Sonntag ins Dorf meiner Schwiegermutter gefahren, wo wir sie und den Onkel schon beim Halbieren der wunderbar leuchtend roten Tomaten antrafen. Sie sassen unter einer selbstgebastelten Laube im Schatten. 150 kg Tomaten sind entmutigend viel, aber da sich der Rallyefahrer als tomatenhalbierender Roboter gefiel und unser grosser Sohn durch den Wettbewerb eifrig wurde, schafften wir es, in zweieinhalb Stunden die Tomaten zu halbieren und die fasrigen und harten Teile wegzuschneiden. Der Achtjaehrige war der Tomatenwaescher und warf uns die gewaschenen Tomaten auf eine Art Strohsieb mit einem Geschirrtuc, auf dem die Tomaten abtropften.
Dann kommen die Tomaten in die "Quadrara", einen spektakulaer grossen Topf, der mit Kupfer ausgekleidet ist und aussen ganz schwarz vom Rauch ist, denn er wird aufs offene Feuer gestellt, das meine Schiwegermutter in einer kleinen Art Garage entfachte. Frueher hatte jedes Haus einen "Forno", in dem man das Brot backte und ein Feuer machen konnte, um die Wuerste zu raeuchern. In unserem neuen Haus gibt es diesen Raum, aber wir besitzen weder eine Quadrara, noch eine "Macchinetta" mit Motor, durch die die Tomaten gejagt werden, um anschliessend als Saft herauszurinnen und auch keine Maschine, mit der die Flaschen verkorkt werden.Waehrend die Tomaten mit ein wenig Basilikum in der Quadrara zum Kochen gebracht wurden, spuelten wir die im Lauf des Jahres gesammelten Flaschen (die Flasche der Gassosa, eine Art sueditalienisches Sprite, vom Achtjaehrigen Sprint genannt, eignet sich hervorrragend, man kann die Flaschen aber auch fuer 30 Cent im Consorzio, in dem alles fuer Haushalt und Bauernhof verkauft wird, erstehen), der Onkel stellte den Tomatenfleischwolf zusammen und dann wurden in jeweils kleineren Toepfen die kochend heissen Tomaten aus der Rauecherkammer gebracht und der Rallyefahrer und ich schaufelten sie mit kleinen Kasserolen in den Trichter der Maschine. Der grosse Sohn drehte die Schuessel, in die die Tomatenschalen und die Kerne fielen, damit diese nicht in die Wanne rutschten, in die der rote Tomatensaft stroemte. Diese Reste werden noch einmal durchgepresst, danach den Huehnern als Delikatesse vorgesetzt. Wenn alle Tomaten gepresst sind, was sehr aufregend ist, weil die Maschine sehr laut ist und die Angst, dass irgendwas die Arbeit ruiniert, die Wanne auseinanderbricht , die Sauce uns die Beine verbrueht usw., wird die Sauce wieder mit den kleinen Kasserolen mittels Trichter in die Flaschen gefuellt. An diesem Punkt begann die einzige Krise dieses Tages, denn der grosse Sohn leerte die dampfende Sauce ueber MMs Hand waehrend der Achtjeahrige mit unglaublicher Stetigkeit quengelte, weil er auch die heisse Sauce einfuellen wollte. Da der grosse Sohn die fertigen Flaschen an den naechsten Arbeitsplatz bringen musste, wo MM mit der Kronenkorkenmaschine sass und 90x Klick machte, durfte der Kleine auch abfuellen. Die verkorkten Flaschen wurden in eine Metalltonne "Fusto" gefuellt, die wiederum auf dem (noch anzuzuendenden) Feuer steht, also eigentlich auf einem Metallrost mit Beinen. Wenn genug Flaschen in der Tonne sind (das Befuellen ist die Arbeit meiner Schwiegermutter, die dies mit wissenschaftlicher Genauigkeit ausfuehrt, denn die Flaschen duerfen weder zerbrechen, noch zuviel Platz einnehmen), wird mit einem Schlauch Wasser in die Tonne gefuellt und das Feuer angemacht. Wenn das Wasser in der Tonne kocht, kann man das Feuer ausgehen lassen, am naechsten Tag werdeb die Flaschen dann aus dem Wasser genommen. Erfolg ist, wenn keine Flasche explodiert.
Ich wusch wahrenddessen die tomatenbesudelten Geraetschaften ab und fuehlte das Beduerfnis, mich niederzusetzen.
Um halb zwei Uhr sassen wir dann recht still bei Tisch und assen Pasta al forno, Rigatoni und Auberginen aus dem Ofen, die meine Schwiegermutter "con piacere e come una magara" (mit Vergnuegen und wie eine Hexe) um sechs Uhr morgens zubereitet hatte.
Am naechsten Tag tanzten wir alle am Nachmittag noch einmal an und wollten die Flaschen aus der Tonne heben, das hatte meine Schwiegermutter aber schon (neben der Herstellung von Makkaroni) getan und war anschliessend Feigen pfluecken gegangen.
Meistens weiss ich nicht, ob ich sie fuer diese Aktionen hassen oder lieben soll. Sie ist einfach so.
Jetzt bin ich gespannt, wie lange wir mit 90 Flaschen Tomatensauce auskommen. Nicht alle Flaschen sind 1-Liter-Flaschen, Gassosa ist nur 750 ml. Da der Rallyefahrer Pasta al sugo jeder anderen raffinierten Verfeinerung der Pasta vorzieht und der 13- jaehrige seine 1,70 m aussschliesslich mit Pasta erreicht hat, werde ich im naechsten Fruehjahr wahrscheinlich wieder die "Pelati", geschaelte Tomaten in Dosen kaufen. Jetzt aber sind wir reich und fuer den Winter geruestet und unser Sugo wird wunderbar und nach Sonne schmecken.
Dann kommen die Tomaten in die "Quadrara", einen spektakulaer grossen Topf, der mit Kupfer ausgekleidet ist und aussen ganz schwarz vom Rauch ist, denn er wird aufs offene Feuer gestellt, das meine Schiwegermutter in einer kleinen Art Garage entfachte. Frueher hatte jedes Haus einen "Forno", in dem man das Brot backte und ein Feuer machen konnte, um die Wuerste zu raeuchern. In unserem neuen Haus gibt es diesen Raum, aber wir besitzen weder eine Quadrara, noch eine "Macchinetta" mit Motor, durch die die Tomaten gejagt werden, um anschliessend als Saft herauszurinnen und auch keine Maschine, mit der die Flaschen verkorkt werden.Waehrend die Tomaten mit ein wenig Basilikum in der Quadrara zum Kochen gebracht wurden, spuelten wir die im Lauf des Jahres gesammelten Flaschen (die Flasche der Gassosa, eine Art sueditalienisches Sprite, vom Achtjaehrigen Sprint genannt, eignet sich hervorrragend, man kann die Flaschen aber auch fuer 30 Cent im Consorzio, in dem alles fuer Haushalt und Bauernhof verkauft wird, erstehen), der Onkel stellte den Tomatenfleischwolf zusammen und dann wurden in jeweils kleineren Toepfen die kochend heissen Tomaten aus der Rauecherkammer gebracht und der Rallyefahrer und ich schaufelten sie mit kleinen Kasserolen in den Trichter der Maschine. Der grosse Sohn drehte die Schuessel, in die die Tomatenschalen und die Kerne fielen, damit diese nicht in die Wanne rutschten, in die der rote Tomatensaft stroemte. Diese Reste werden noch einmal durchgepresst, danach den Huehnern als Delikatesse vorgesetzt. Wenn alle Tomaten gepresst sind, was sehr aufregend ist, weil die Maschine sehr laut ist und die Angst, dass irgendwas die Arbeit ruiniert, die Wanne auseinanderbricht , die Sauce uns die Beine verbrueht usw., wird die Sauce wieder mit den kleinen Kasserolen mittels Trichter in die Flaschen gefuellt. An diesem Punkt begann die einzige Krise dieses Tages, denn der grosse Sohn leerte die dampfende Sauce ueber MMs Hand waehrend der Achtjeahrige mit unglaublicher Stetigkeit quengelte, weil er auch die heisse Sauce einfuellen wollte. Da der grosse Sohn die fertigen Flaschen an den naechsten Arbeitsplatz bringen musste, wo MM mit der Kronenkorkenmaschine sass und 90x Klick machte, durfte der Kleine auch abfuellen. Die verkorkten Flaschen wurden in eine Metalltonne "Fusto" gefuellt, die wiederum auf dem (noch anzuzuendenden) Feuer steht, also eigentlich auf einem Metallrost mit Beinen. Wenn genug Flaschen in der Tonne sind (das Befuellen ist die Arbeit meiner Schwiegermutter, die dies mit wissenschaftlicher Genauigkeit ausfuehrt, denn die Flaschen duerfen weder zerbrechen, noch zuviel Platz einnehmen), wird mit einem Schlauch Wasser in die Tonne gefuellt und das Feuer angemacht. Wenn das Wasser in der Tonne kocht, kann man das Feuer ausgehen lassen, am naechsten Tag werdeb die Flaschen dann aus dem Wasser genommen. Erfolg ist, wenn keine Flasche explodiert.
Ich wusch wahrenddessen die tomatenbesudelten Geraetschaften ab und fuehlte das Beduerfnis, mich niederzusetzen.
Um halb zwei Uhr sassen wir dann recht still bei Tisch und assen Pasta al forno, Rigatoni und Auberginen aus dem Ofen, die meine Schwiegermutter "con piacere e come una magara" (mit Vergnuegen und wie eine Hexe) um sechs Uhr morgens zubereitet hatte.
Am naechsten Tag tanzten wir alle am Nachmittag noch einmal an und wollten die Flaschen aus der Tonne heben, das hatte meine Schwiegermutter aber schon (neben der Herstellung von Makkaroni) getan und war anschliessend Feigen pfluecken gegangen.
Meistens weiss ich nicht, ob ich sie fuer diese Aktionen hassen oder lieben soll. Sie ist einfach so.
Jetzt bin ich gespannt, wie lange wir mit 90 Flaschen Tomatensauce auskommen. Nicht alle Flaschen sind 1-Liter-Flaschen, Gassosa ist nur 750 ml. Da der Rallyefahrer Pasta al sugo jeder anderen raffinierten Verfeinerung der Pasta vorzieht und der 13- jaehrige seine 1,70 m aussschliesslich mit Pasta erreicht hat, werde ich im naechsten Fruehjahr wahrscheinlich wieder die "Pelati", geschaelte Tomaten in Dosen kaufen. Jetzt aber sind wir reich und fuer den Winter geruestet und unser Sugo wird wunderbar und nach Sonne schmecken.
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