Freitag, 10. Februar 2012

It's in a diary

Heute hätte ich fast drauf geschissen, heute war ich in Cosenza bei meiner Lehrerkollegin, es schneite auf der Crocetta und am Nachmittag habe ich außer die Jungs ein wenig bei den Aufgaben betreut, das Kind zum Tanzen gebracht. Das klingt eigentlich alles harmlos, aber es besteht aus vielen gleichen Worten: "Junge 1 nimm jetzt dein Musikheft, Junge 2, nimm jetzt dein Italienischbuch!" und so geht es ganz lang. Ich bin müde. Es ist sehr kalt in diesen Tagen und ich würde gerne einen fetten Guglhupf essen, am liebsten beim Hawelka. Aber der alte Hawelka ist tot, ist eh über 100 geworden und der Schurli Danzer ist auch tot. Die Leute, die nach Cosenza fahren mussten, haben zum Teil auch drauf geschissen und sind wieder heimgegangen. Ich habe mich auch gefragt, ob ich Chaos produziere und ob ich es schaffen werde, rechtzeitig wieder an die Küste zu kommen, um meine Kinder um halb vier von der Schule abzuholen und was ich tun würde, wenn ich es nicht rechtzeitig schaffen würde. Ich dachte, ich würde irgendeinen unserer tüchtigen Nachbarn anrufen, denn die Mütter von den neuen Schulkollegen kenne ich noch zu wenig und ich habe eigentlich keine Telefonnummern. Zweimal musste ich heute schon an den feschen Nachbarn Settimio denken, wahrscheinlich weil ich einmal im Auto hinter ihm fuhr, heute hat er den Sohn zum Autobus gebracht, normalerweise fährt dieser allein auf einem knatternden Moped, ohne Sturzhelm eh klar. Jedenfalls habe ich dann beschlossen, dass meine Reise den Aufwand lohnt, denn ich musste mir ein Lehrmaterial holen für etwas, das ich nächste Woche vier Tage auf Sizilien unterrichten werde und ich sage jetzt nicht was. Der Autobusfahrer war auch tüchtig und fuhr im Schritttempo über den verschneiten Berg. Die Studenten und Studentinnen, die im Autobus saßen, erfuhren während der Fahrt, dass der Universitätsrektor den Tag unterrichtsfrei gegeben hatte, eben wegen dem Schnee. Keine Prüfung. Das brachte auch keine Farbe in die blassen Gesichter. Einige beschlossen, mit genau diesem Autobusfahrer wieder an die Küste zurückzukehren, denn immerhin hatte der bewiesen, dass er es einmal geschafft hatte. Obwohl für die Stadt VIER Zentimeter Schnee angekündigt waren und mir MM riet, auch gleich wieder (mit dem selben Busfahrer) nach Hause zu fahren, waren dort nur die Straßen nass und alles funktionierte ganz normal. Auch ein Cornetto Crema Amarena konnte ich in der Bar San Francesco bestellen, das hatte ich auch dringend nötig, denn auf der Fahrt hatte ich viele Fotos gemacht und mit dem Gedanken gespielt, diese auf Facebook zu veröffentlichen und davon war mir ein wenig schlecht. Aber ein Guglhupf beim Hawelka wäre besser gewesen. Auf der Fahrt sah ich ein paar Autos fahrerlos auf der Fahrbahn stehen, die waren aber nicht für immer verlassen, wie in Rom, sondern nur kurz, denn die Männer halfen sich gegenseitig, die Schneeketten anzulegen. Sie tun immer so unbeteiligt, die Kalabresen, in Wirklichkeit aber sind sie wie mein Wiener Postbeamte, der anfänglich wie der übelst gelaunte Mensch auf diesem Planeten wirkt und der, nachdem ich drei Mal eine Überweisung falsch ausgefüllt habe, ein wenig auftaut, und sagt: "Wichtig ist doch nur, dass ich Sie länger hier bei mir habe." Ich bin bestürzt, tröste mich aber mit dem Gedanken, dass er das wahrscheinlich meiner 80-jährigen Mutter auch gesagt hätte. So sind die Kalabresen nicht, sie haben keinen Wiener Charme, der aus dem Keller kommt. Aber wenn sie helfen müssen, dann tun sie das auch. Deshalb hätte ich auch ohne lange zu überlegen, einen unseren Nachbarn angerufen, um die Jungs auszulösen. Das war zum Glück nicht nötig, denn ich kehrte problemlos nach Hause zurück und auch MM war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort, nämlich vor der Schule. Als alle zu Hause ankamen, erfuhr ich, dass Percussion, der Grund, warum die Kinder bis um halb vier in der Schule waren, nicht stattgefunden hatte, denn der Professor konnte wegen des Schneefalls nicht anreisen. Komisch, dass ich trotz des Schneefalls alle meine Verpflichtungen absolviert hatte, aber gut, das mag genetisch bedingt sein und ist auch nicht das Problem. Das Problem ist, meiner Meinung nach, dass die Jungs mich nicht angerufen haben. Der 14-jährige brummt: "Aber du warst doch in der Stadt." Ich bitte ihn, in Zukunft, nicht für mich zu denken, sondern mich auf dem Laufenden zu halten, denn ich war genau in dem Moment 50 Meter von der Schule entfernt, als der Unterricht NICHT stattgefunden hatte. Meine Kinder haben also aktiv Zeitvernichtung betrieben, während mir gleich die Tränen kommen, weil ich sie in weniger Zeit durch ihre Hausübungen hetzen muss. "Verstehst du das?" frage ich MM und er erklärt mir leicht genervt, dass sich die Kinder eben verantwortlich fühlen und dass ich Stress mache. In diesem Moment hasse ich ihn aus tiefstem Herzen, beneide meine Lehrerkollegin, die mir die Geschichte ihrer Trennung erzählt, während sie ein fein säuberlich gefaltetes Handtuch akkurat in den Händen hält, das sie mir geben will, bevor ich in ihrer Wohnung aufs Klo gehe. Zum Glück muss ich nicht so dringend aufs Klo, dass ich mir in die Hosen mache, denn die Geschichte ist lang. Aber jetzt ist sie alleine und keiner sagt ihr, dass sie gestresst ist und diesen Stress auf ihre Kinder überträgt. Und ich denke wieder an den feschen Settimio, der bei Ritas Hochzeit getanzt hat wie ein Discostar, der in den späten siebziger Jahren seinen Einstand gefeiert hat. So wie ich eben. Bei ihm sind es vielleicht auch die frühen Eighties. Und ich bin keineswegs beschämt darüber, denn ich weiß, dass MM Settimios Ehefrau verehrt, weil sie mit einem Traktor eine Steigung im Rückwärtsgang hinauffahren kann, während ihre Mutter auf der Ladefläche sitzt. Zum Schluss sind wir eben alle ein wenig tüchtig, ich vielleicht weniger, aber doch auch.

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