Sonntag, 17. Juni 2012

Die Großkusine und der Landpfarrer


Meine angeheiratete italienische Familie taugt immer zur Unterhaltung, so wie alle angeheirateten italienischen Familien, sonst könnten deutsche Autoren, die mit Italienerinnen verheiratet sind, keine Bestseller schreiben.

Im Dorf, aus dem MM stammt, wohnt unter anderem auch seine Kusine, deren Töchter in unserem Alter sind oder ein wenig jünger. Die jüngere ist ein bisschen skandalös, zumindest in den Augen der älteren Tanten und ich habe nie herausgefunden, worin der Skandal besteht, außer dass sie extrem laut und energisch spricht und dazu sehr klein und sehr zart ist, was aber irgendwie nur fragen läßt, wo diese Energie ihr Heim hat und noch nicht den Skandal wittern läßt. Außerdem ist sie mit nicht einmal vierzig Jahren Witwe und auch wenn die bösen alten Tanten sagen, sie hätte ihren Ehemann umgebracht, glaube ich das nicht. Sie hat zwei Kinder im Alter von zehn und sechs Jahren und ihre große Tochter ist die einzige, die in ihrer Klasse kein Telefon mit Touchscreen besitzt, sie besitzt nämlich, wie unser gleichaltriger Sohn, gar kein Mobiltelefon, was eigentlich schon Grund wäre, die Großkusine sympathisch zu finden. Die Großkusine kündigt nach einigen Erzählungen, bei denen alle schreien und ich mich bemühe, mitzuschreien, eine echt skandalöse Geschichte an. Her damit. Also paßt auf.

Der Priester. Ja, ich erinnere mich. Ein sehr junger Typ, der beim letzten kirchlichen Fest im Februar an dem wir teilgenommen haben (die alten Damen haben auf absolut aufnehmenswerte Weise einen halbstündigen a capella Gesang San Rocco zu Ehren geliefert, den meine Kinder jederzeit perfekt rekonstruieren können, denn er ist dem Motherfucker-Damn it-HipHop-Rhythmus nicht unähnlich), gesagt hat, die Leute sollen sich zurückhalten beim Torten backen, denn er könne nicht so viel essen. He Alter, gib uns den Kuchen, hätte ich gerne gerufen, habe aber schüchtern auf meine pflichtbewusst gefalteten Hände gestarrt.

In the meantime hat die Großkusine irgendwie versucht, die Messe für ihren verstorbenen Ehemann von einem anderen Priester lesen zu lassen, was ihr nicht gelungen ist und außerdem hat sie sich für den Chor eingesetzt, der vom Jungpriester abgesetzt worden war, da er von einer getrennt lebenden Frau geleitet wird. Menschen wie ich müssen da ihr grundsätzliches "So what, ich hab's euch ja schon immer gesagt," zur Seite stellen und begreifen, dass Chorsingen und kirchliche Feste für Menschen in kleinen Gemeinden im Hinterland wesentlich sein können. Der Priester teilt der Großkusine geduldig mit, dass die katholische Kirche so was wie eine Diktatur ist und dass da eben nicht alle mitreden können und wenn ihr was nicht passt, braucht sie nicht zu kommen.
Die Messe für den verstorbenen Ehemann wird vom Priester himself gelesen, der Chor aber darf singen und nach der Messe präsentiert sich die Großkusine mit dem Briefumschlag mit der Spende (Spende erbeten für Messe für Verstorbenen: 25 Euro bitte danke, Spende erbeten für Hochzeit: 500 Euro bitte danke, für alle 10 Minuten Verzögerungen weitere 50 Euro, bitte danke mit freundlichen Grüßen Ihre katholische Kirche). Der Priester bittet eine Klosterschwester als Zeugin hinzu, denn jetzt wird er der Großkusine sagen, dass sie und ihre Familie in dieser Kirche kein gern gesehener Gast ist. An diesem Punkt spüre ich eine heftige Bewegung in meiner Brust. Er sei es jetzt Leid, dass sie ihn immer kritisiere. Sagt er mit dem Umschlag in der Jacke. Bitte danke. Und ihre Schwester hätte bitte auch schon was Böses gesagt. Da müssen alle lang nachdenken, bis ihnen einfällt, was. (Und zwar etwas, was ich kaum verstehe, weil es mir kulturell sehr fremd ist: Es geht um einen Toten, der in der Kirche aufgebahrt ist. Die zweite Großkusine geht hin und findet den Toten im Finstern und sagt zur Kirchenaufseherin: Wann hat man denn je einen aufgebahrten Toten ohne Kerzen gesehen? Von Aufgebahrten und ihren Kerzen verstehe ich eben nicht so viel, was ein anderes Thema ist, aber die zweite Großkusine war sich nicht bewusst, dass diese, wie sie meinte, harmlose Frage, bald gegen sie verwendet werden würde, denn die Kirchenaufseherin musste dem jungen Priester diesen neuen Kritikpunkt gleich erzählen, worauf sie zur nicht willkommenen Familie gehörte. Hier kommt auch nun meine Schwägerin ins Spiel, die Theologin ist und sagt: Das war in der Karwoche und da gibt es eben kein Licht in der Kirche und die Großkusinen haben die Regeln nicht kapiert). Ja nun, wenn einer irgendwo willkommen sein muss, dann, so stelle ich mir das vor, in der katholischen Kirche, bitte danke.
Die als Zeugin bestellte Klosterschwester weint nach dem Konflikt und möchte sich versetzen lassen. Der Bruder der beiden Großkusinen trifft seine kleine verwitwete Schwester weinend vor der Kirche an und heißt den Priester alles Mögliche, unter anderem pädophil. Dazu sagt meine Schwiegermutter (kein Fan der skandalösen Großkusine): Sie hätte ihren Bruder fast ins Gefängnis gebracht! Zum Glück ist der Priester nicht zu den Carabinieri gegangen.

NATÜRLICH steht auch hier, wie hinter allen grauenhaften Konflikten, ein verletztes Ego. Die Großkusine, eine arme junge Witwe, die ihre Kinder in die katholische Schule und den Kindergarten bei den Klosterschwestern schickt, muss für die Schule nichts bezahlen, da sie ab und zu deren Räume putzt. Als sie auch das Pfarrhaus putzen musste, wollte der Priester sie statt einer Bezahlung zu einer Pizza mit ihm einladen. Danke schön, hätte sie gesagt, da gäbe es genug andere, die nur danach lechzen würden.

ABER die Großkusine weiß, dass der Priester eine Berloni (heißt die so?)- Küche hat und ein tolles Sofa von Divani und Co (von dem wir alle träumen). Eh klar, weil wir zu unserer ohnehin bezahlten Arbeit nicht zusätzlich die Spende bitte danke einnehmen können.
Die Großkusine wartet nun auf ihren Termin beim Bischof, um Bericht über den diktatorischen Priester zu erstatten.
Wir hoffen auf rasche Entwicklungen in diesem Fall.
MM verabschiedet sich versöhnlich: "Wie ihr wisst, können von mir aus alle Priester krepieren, aber da du das Bedürfnis hast, gläubig zu sein...bin ich ganz auf deiner Seite."

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