Freitag, 13. Juli 2012

Die Dattilografa geht ins Kloster

In der großen Stadt hat die Dattilografa eine richtige Tante und die ist richtige Klosterschwester. Sie geht sie mit den Buben besuchen und weiß beim Betreten des Klosters gleich und ganz und gar, warum vieles so ist, wie es ist. Warum ich aus der Kirche ausgetreten bin und warum ich, wenn ich mich nach Ruhe und Klarheit sehne nur einen Ort vorstellen kann: ein Kloster. Wenn das nicht geht, hilft auch eine Kirche, aber bitte kein Dom, je kleiner und schrumpeliger die Kirche, desto größer die Einsicht, die zu gewinnen ist. Das hat also, ganz klar, etwas mit dem kleinen Mädchen zu tun, welches die später entartete Nichte der Klosterschwester einmal war. Jetzt ist die Frau wieder herzeigbar, denn sie hat drei Kinder zum Herzeigen und die sind stattlich und außerdem viel sozialer und belastbarer als ich es mir je gedacht habe. Ich weine gleich, als ich die nun 90-jährige Tante Klosterschwester sehe. Der Rallyefahrer grinst in einer Mischung aus verständnisvoll und betreten: "Mamma, sag nicht, dass du gerührt bist." Keiner weiß, dass ich so bewegt bin, weil ich die Tante das erste Mal ohne Schleier sehe und ich mich immer immer immer gefragt habe, wie sie ohne den aussieht. Die Mutter der Dattilografa ist auch mit, sie hat das alles ja inszeniert und dann sind da noch ein paar Klosterschwestern (ein paar machen um 3 Uhr nachmittags gerade in der riesigen Küche sauber - wie ich die Küchen in den Klostern liebe...) und ein paar Krankenpflegerinnen aus einem Nachbarland. Das ganze Kloster liebe ich. Da ist der Linoleumboden über den wir letztens auf dem Fest so viel geredet haben und er ist makellos geputzt. Stille, Sauberkeit, Schlichtheit. Wo sind die anderen Schwestern? Das ist die Frage.
Die Tante spricht seit ihrem 90. Geburstag nicht mehr, sie ist auch eigentlich bettlägrig, aber die tüchtigen Pflegerinnen habe sie uns zu Ehren in einen Rollstuhl gesetzt und wir sitzen in einem netten Zimmer. Die Kinder schauen sie freundlich an und sie schaut auf demselben Niveau zurück. Ehrlich gesagt wünsche ich mir, sie würde angesichts dieses Tatsache zu sprechen beginnen und das tut sie auch, aber man erwartet von ihr, sie spräche wie ein Wasserfall. Artig sagt sie "Danke", wenn man Grüße ausrichtet. Sie schaut beglückt auf die Kinder und die schauen beglückt zurück. Sie stellen fest, dass die Oma und die Tante sich voll ähnlich schauen und ich habe auch denselben Mund. Am nächsten Tag gehe ich zur Friseurin. Die kann zwar meinen Mund nicht verändern, aber von ihm ablenken. Die Schwestern haben eine riesigen Kuchenteller vorbereitet und sagen: "Wie haben uns gedacht, bei den Burschen geht was weg." Das haben sie ganz richtig eingeschätzt und die Buben lassen sich nicht bitten." "Sehr tüchtig, die Schwestern!" stellt das Kind nach dem dritten Stück Kuchen fest und die Schwester lacht (auch tüchtig), als ich es ihr kolportiere. Sie wird es der Küche ausrichten. Ich nehme an, die werden dann auch glücklich kichern.
Um halb vier Uhr kommt bereits das Abendessen, immerhin sind wir auf der Krankenstation. Eine wichtige Schwester fragt die Tante freundschaftlich, ob sie ihr Abendessen jetzt, oder später auf dem Zimmer wolle. Die Tante schaut lange sehr nachdenklich. Ich glaube, diese Entscheidungen sind sehr anstrengend. Die winzigen, sehr liebevoll belegten Brote werden gebracht und dazu ein Teller mit Broten für die Kinder. Das Kind greift auch hier wohlerzogen zu. Die Tante Klosterschwester bekommt auch einen Teller mit Nektarinen, die sie augenblicklich isst. Der Rallyefahrer reicht ihr ein Taschentuch, er hat bemerkt, dass sie sie sich gerne schnäuzt und anschließend ihr Taschentuch sehr ordentlich wieder zusammen legt. Als ich aufs Klo muss und meine Mutter mich begleitet, stelle ich fest, dass die Putzgeräte auf dem Klo mit einem nie gesehenen Sinn für das Praktische, Unausweichliche und Notwendige aufgehängt sind. Das Irdische einfach. Dann eile ich zurück, weil ich mich frage, was meine Kinder inzwischen ganz allein mit der schweigsamen Tante machen. Ich stürme ins Zimmer und sie sagen mit der Ruhe der Weltreisenden, die sie sind: "Sie hat uns ihre Brote gegeben."  Jedes Kind sitzt vor einem der liebevoll belegten winzigen Brötchen, die Tante schaut zufrieden. "Sie wollte teilen." sagt meine Mutter, ein wenig irritiert. Sicher ist es komisch, eine kindische große Schwester zu haben.
Als wir gehen, müssen wir eine Tür hinter uns lassen, auf der steht: "Tür bitte sanft schließen." Das Kind zieht die Tür mit einer Anmut zu, als ginge es darum, die ganze Welt vor Last und Störung zu schützen.
Am nächsten Tag reden wir wieder über die Schwestern. Ich sage, sie haben ihr Leben Gott gewidmet. "Gott gibt es nicht." sagt das Kind. "Das ist eine Frage des Glaubens." sage ich. "Nein, wie die Welt entstanden ist, kann ich dir sagen. Also: da gab es diese Explosion..." Das hat er jetzt aber nicht von mir. Und ich finde es auch ein bisschen traurig.

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