Freitag, 18. Dezember 2009

Io che cammino

Den gehenden Mann haben wir einige Male gesehen. Ein paar Mal früh morgens in Warteposition, auf dem Boden hockend, rauchend, ein anderes Mal gehend, aber einen völlig zerstörten Eindruck machend. Trinkt er oder macht er was anderes, nachts in seinem Zelt, das ich ihm angedichtet habe? Dann geht er wieder, die Finger unter die Rucksackgurten eingeklemmt, den Blick vor sich hingerichtet und ich bin beruhigt.

Schlechtwetter. Eben war noch ein Sonnenstrahl von Sizilien her zu sehen und plötzlich hängt vor dem Fenster ein dichter Vorhang. Ich schreibe im rosa Zimmer, einem von zwei Zimmern, die maurerfreie Zone sind. Sechs Männer hämmern, betreiben eine Mischmaschine, bohren, setzen Ziegel aufeinander und ich weiß nicht, was sonst noch alles, ich will mein Zimmer nicht verlassen. Das Innere des Hauses nimmt Formen an, zwei Badezimmer entstanden durch das Aufziehen von Wänden, und warten auf das Eintreffen des Installateurs. MM wartet auf das Eintreffen des Kostenvoranschlags des Elektrikers, nachdem der ursprüngliche Elektriker mit einer Kostenforderung ohne Kostenvoranschlag brillierte.

Es gibt Tage, da möchte ich auf dem Schutt tanzen vor Freude, an anderen will ich gar nichts, außer dass es Abend wird und ich meinen Krimi lesen kann. Während MM dieses Projekt betreut und mir allabendlich seine Ideen und Bedenken mitteilt, sollte ich eigentlich nicht hier sein, sondern unser altes Haus für den Umzug bereit machen. Dazu kann ich mich aber irgendwie nicht aufschwingen und wie eine Droge zieht mich unsere Baustelle an und ich bin erst froh, wenn ich den Hügel hochfahre, vorbei an der mittlerweile riesigen Steinmauer, der Konkurrenzbaustelle, und vor unserem Rohbau zu stehen komme, der eines Tages verputzt sein wird und dann wird alles vorbei sein.

Es ist kalt. Es ist nicht der richtige Moment zu schreiben. Das einzig Schlimme aber ist, dass es kein Wasser gibt. Es gibt noch ein Bad, das unser Obermaurer diskreter Weise mir zu Ehren noch nicht zertrümmert hat, aber ich muss mit einem kleinen Kübel Wasser nachleeren, im Moment Regenwasser, dem einzigen, das noch vorhanden ist. Wenn ich mit dem kleinen Kübel hantiere, einem Sandspielzeug meines kleinen Sohns, habe ich das Gefühl, all diese Männer hätten mir beim Pinkeln zugeschaut.

Das Verhältnis zu unserem Obermaurer ist nicht mehr so harmonisch wie noch vor einer Woche, was daran liegt, dass zusätzlich entstandene Kosten auf kleinen aus einem Block gerissenen Zettelchen zusammengerechnet und präsentiert wurden. Zwischen Hämmern und Bohren höre ich nun die Stimmen des Obermaurers, des Architekten, der zur Klärung herbeigezogen wurde. Ich wüsste gerne, an welchem Punkt sie sind, aber ich weiß, dass ich ihre Kommunikation ungeheuer hemme. Und ich muss mich auch aus manchem raushalten, weil ich mich verändern muss. Ob das in meinem Alter geht, ob das überhaupt geht. Ich darf mich nicht mehr aufregen sagt MM. Ein Bekannter hat einen Herzinfarkt oder so was ähnliches erlitten, und weil er an einem hohen Cholesterinspiegel leidet und Diabetes hat, haben ihm die Ärzte geraten, sich unter keinen Umständen aufzuregen. Wie er das machen soll, haben sie ihm sicher nicht gesagt.Da ich auch einen zu hohen Cholesterinspiegel habe, darf ich mich also nicht mehr aufregen verordnet mein Mann. Da ich ohnehin nie fern sehe, dürfte ich eigentlich auch keine Nachrichten mehr hören, denn meine Wut beginnt um sechs Uhr morgens, wenn ich höre, dass der italienische Premierminister sagt, die Liebe wird über denn Hass siegen.

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