Samstag, 30. Januar 2010

I'm sooo tired, I haven't slept a lot

Wie bekannt, beginnt mein Ärger um sechs Uhr morgens, wenn ich im Radio höre, dass die Italiener ein geringeres Durchschnittsgehalt als andere Bürger der OSZE Staaten haben. Dafür zahlen sie aber mehr Steuern und andere Abgaben, wie eben das "Ticket" bei ärztlichen Untersuchungen. In Italien ist praktisch nichts gratis oder inklusive, deshalb versuchen a) alle, was zu ergattern, b) alle, schlau zu sein c) alle, das System auszutricksen. Sehr wenige haben anderes zu tun und freuen sich dann über zufälligerweise geringe Kosten. Das sind wir. Unsere kleine Straße, die von der anderen kleinen Hügelstraße zu unserem Haus führt, wurde vor kurzem von einem Bagger vergrößert, indem er den Wildwuchs aus Wäldern und Wiesen entfernte. Der erbauliche Effekt entstand, dass wenn zwei Autos sich entgegenkommen, nicht mehr ein Auto zwangsläufig hundert Meter zu einer Ausweiche zurückschieben muss, sondern zwei Autos an manchen Stellen einfach passieren können. Dadurch werden manche Autofahrer einer gewissen Allmacht beraubt ("Moment, ich schieb zurück, ich kann das besser, ich kenn mich aus, Kleine!"), aber auch ein Gefühl von sozialem Leben geht verloren ("Danke, du bist echt nett, war super!"). Vor ein paar Tagen wurde ein Nachbar vorstellig und fragte MM, ob er sich an den Kosten für diese Verbreiterung und andere Verbesserungen (Schlaglöcher flicken, die man sportlich vermeiden wollte und dann doch mit einem Hinterrad hineinkrachte), beteiligen wolle. Der Anteil beträgt 50 Euro. Es muss viele Nachbarn geben, die da mitzahlen. Ja, wir bezahlen gerne 50 Euro für eine schöne Privatstraße, die wir mit anderen Nachbarn teilen.
Ich denke oft darüber nach, warum ich so gerne zu unserem Haus fahre, zu dieser unglaublichen Baustelle, in the middle of nowhere. Ich denke darüber nach, weil ich Angst habe, dass es aufhört. Im Moment habe ich dort nichts, außer meiner ADSL-Leitung, die nach fünf Monaten funktioniert und einem Telefon und Arbeitskleidung. Das, was uns gefallen hat, das Pittoreske, wird unserem Projekt, ein interessantes, lebenswertes und ökologisch vertretbares Haus zu schaffen, geopfert. Gewisse private Versatzstücke leisten Widerstand und werden von einem Ort zum anderen geschoben. Ein Bügelbrett der Vorbesitzerin zum Beispiel, das aus unverständlichen Gründen nie weggeräumt wurde, dient im Moment als Ablage für die bunten Thermostaschen , in denen die Maurer ihr Mittagessen und ihr Jause mitbringen. Eine Flüssigseife, die ich gekauft habe, stand auf einer Waschschüssel, die irgendwann abgebaut wurde, dann wurde sie auf die Treppe gestellt, die Treppe wurde jetzt aber verändert, weil eben ausgeglichen, und ich frage mich, wo die Flüssigseife hingekommen ist. Die Maurer fragen sich wahrscheinlich, wieso ich diese Flüssigseife nicht weggeräumt habe, aber in all dieser Veränderung, dieser Zerstörung, stand ich Flüssigseifen und Bügelbrettern und vor allem einer Plastikpflanze der Vorbesitzer entwaffnet gegenüber. Machtlos verfolgte ich, wie diese ihren Standort wechselten, dabei hätte ich zumindest die Plastikpflanze wirklich gern weggeschmissen. Aber die Tatsache, dass sie von einem Ort zum anderen übersiedelt wurde, gab ihr eine Lebensberechtigung. So wie der Apfelbaum mit den ungenießbaren Äpfeln, den MM abgesägt hat. Das war der härteste Schlag. Immerhin war es ein Baum. Aus den Äpfeln hätte ich schon was gemacht. "Er hat geblüht!" werfe ich MM vorwurfsvoll entgegen. Die Küche des Kindes (Alte Töpfe der Vorbesitzerin, mit denen das Kind hemmunsglos herumpritscheln konnte), wo ist die jetzt? Auch sie ist Teil der Versatzstücke, die von einem Ort zum anderen wanderten. Und wo bin ich in dem Ganzen? Pan Tau-artig versuche ich mich durch die Baustelle zu bewegen und schaffe es doch immer, einem eben gesetzten Türrahmen einen Tritt zu versetzen oder mir Zement ins Gesicht schleudern zu lassen. Eine Bekannte erzählt mir heute verständnsivoll von ihren Erfahrungen mit einer Baustelle: sie hätte immer ein paar Schuhe für die Baustelle im Auto gehabt (angesichts ihrer perfekten hochhackigen Lackschuhe durchaus verständlich) und hätte den Obermaurer gefragt, ob er ihr auch ein Gehalt auszahlen wolle, da sie doch immer auf der Baustelle sei. Sie kommt aus Neapel und sie kann so was sagen. Ich finde sie toll. Allein die Vorstellung, ich würde unserem fleißigen Obermaurer so etwas sagen, nachdem ich seinem liebevoll gesetztem Türrahmen einen Tritt mit meinen Baustellenschuhen versetzt habe, treibt mir die Schamesröte ins Gesicht. Es ist nicht zu ändern: in diesem Moment ist die Baustelle was für Männer. Ich versuche mich zu trösten. Wenn ich MM und seinen Kindern nichts zu essen geben würde, nicht dafür sorgen würde, dass seine Wäsche gewaschen wird und seine Kinder zur Schule gebracht und wieder abgeholt werden, plus am Nachmittag ihre Hausaufgaben machen, könnte auch er nicht auf Baustellen sein (für die er nebenbei vermerkt, ihm vom italienischen Gesetz erstaunlicherweise zugestandene Kinderbetreuungszeiten aufbraucht). Sollte ich je in meinem Leben einer andere Baustelle vorfinden, die betreut werden muss, werde ich von Anfang an andere Strategien anlegen und dafür sorgen, dass aureichend Mllimeterpapier in meinem Besitz ist, und dann werde ich den Maurern sagen, wo's lang geht. Nächstes Projekt: Schweinestall. Und dann werde ich ein Dixi-Klo auf die Baustelle schaffen lassen. Ob es so was gibt, in Süditalien?

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