Dienstag, 2. Februar 2010

Sprengen!

Eigentlich bin ich eine Frau, die morgens hasst und sich im Lauf des Tages beruhigt. Es gibt aber Tage, an denen der Unmut sich während des Tages stets vergrößert, so dass dann abends nur noch der Wunsch nach Sprengung besteht. Vielleicht liegt diese Umkehrung daran, dass ich an diesen Tagen länger schlafe und daher die sechs Uhr Nachrichten versäume. Heute habe ich einen wunderbaren Vormittag mit meinem Kind verbracht, dass sich heldenhaft einer peinlichen Untersuchung seines Geschlechtsteils unterzog, die ein Arzt vornahm, der zu denen gehört, "die einen nicht einmal anschauen". Der Stoizisimus des Kindes überwog aber bei weitem den Abscheu, den der Arzt erzeugte und wir belohnten uns mit einer größeren Ausgabe in der Buchhandlung und einem anschließenden Besuch auf dem Spielplatz, einem dieser höchstens nachts von heroinsüchtigen Menschen frequentierten Orte. Ich entdeckte das Vergnügen, auf wackelnden Holzbalken zu gehen, die Freude, das Kind auf der Schaukel hochhüpfen zu lassen und dabei das Gefühl für meine Oberschenkel wiederzugewinnen, erinnerte mich daran, wie es war hoch zu schaukeln, wofür meine Beine komischerweise zu lang sind, obwohl sie das in Wirklichkeit nicht sind, und die Seligkeit auf einem Ringelspiel oder wie das heute heißt, die Augen zu schließen und immer orange zu sehen, wenn die Sonne aufs Gesicht kommt. Mit diesen freundlichen Gefühlen holten wir die anderen Kinder von der Schule ab und ab da ging's los. "Mamma hat euch ein Geschenk gemacht!" (Comix von Dragonball), Kind 2 sieht sofort die Unwürdigkeit ein, beschenkt zu werden: "Du musst aber etwas unterschreiben, weil ich nämlich vergessen habe, dir zu sagen, dass ich gestern Geometrie hätte lernen müssen."
Jetzt, nachdem dieser Tag überstanden ist, frage ich mich, wieso mich das aus der Bahn geworfen hat, aber in dem Moment war ich hochgradig verärgert, mehr, weil mein Plan aus dem Ruder lief. Wie soll ich einem Kind, das nicht Geometrie gelernt hat, Dragonballcomix schenken, was mach ich jetzt und wie gehe ich mit der Enttäuschung des Kindes um. Was ich hätte unterschreiben sollen, fand sich aber nicht mehr in der Schultasche, daher musste ich die Mathematiklehererin anrufen, die ich eigentlich hätte anschreien wollen, wieso sie mir meinen Tag so vergällen will. Mittlerweile hatte ich erfahren, dass alle Kinder in der Klasse den selben Verweis bekommen hatten, halb so wild also. Die Lehrerin ist eigentlich ok und ich habe sie nicht angeschrien. Das hätte sie sich wahrscheinlich auch nicht gefallen lassen. Das Kind war recht gelb im Gesicht. In meiner langen Rede über die Sinnhaftigkeit von Gedächntnis, Mitteilungsheften und dem Lernen von Geometrie kam auch der Satz vor, dass er, wenn es ihn schon nicht interessierte, bitte immerhin für uns lernen sollte, denn wir (sein Vater) würden ihm den Sonntag zu Verfügung stellen für diese (Scheiß-) Drei- und Vierecke, die er dann am nächsten Tag nicht wiederholte. Aus zwei Gründen hat mich der Gipfel meiner Rede sehr zufrieden gestellt: 1) war ich selbst in der Schule sehr schlecht in Geometrie, konnte keinen geraden Strich mit einem Lineal machen und merke mir bis heute nicht die Namen der Formen - daher alle Schuld der Geometrie an sich und 2) erinnerte ich mich an die Aussage eine Freundin, die ihren Kindern erklärte, sie würden schließlich nicht für die Eltern, sondern für sich selbst lernen, worauf die Mutter der Freundin, eine pensionierte Lehrerin, ihr erklärte, dass Kinder nicht für sich selbst lernen wollten, sondern eventuell, um ihren Eltern eine Freude zu machen.
Dieser Schachzug funktionierte, das Herz des Kindes wurde weich, es entschuldigte sich und weinte ein paar bittere Tränen in meine Achsel. Wegen der Gemeinheit der Romben und Parallelogramme oder weil der arme Papa so viel Zeit investiert hatte oder wegen dem verlorenen Dragonball werden wir nicht erfahren.
Beim Versuch, den Lernstoff nachzuholen, stellte sich heraus, dass auch das Geometrieheft, ebenso wie das Mitteilungsheft verschwunden war und als Schuldige wurde Schulkollegin Maria Rita genannt, die alles in ihre Schultasche gepackt hat. Ärger! Maria Rita hatte also meine Grundlage in ihrer Schultasche und ich versuchte mühsam mein Unwissen über die Benennung gewisser Winkel zu verbergen. Als Resümee dieses Tages kann ich sagen: ich kenne jeden Winkel, habe, glaube ich, endlich verstanden, was ein Trapez ist, habe zwei Gedichte auf italienisch auswendig gelernt, eines handelt vom Schnee, der weich und ohne Eile fällt, das andere von der Natur, die, weil sie nicht respektiert wird, ihre Scherze mit den Menschen treibt.
Ich habe mein Wissen über Vulkane bereichert und endlich begriffen, was ein complemento diretto (Frage: wer, was?) und ein complemento indiretto (mit Präposition) ist.
Der Arzt hat mir gesagt, dass das Kind operiert werden soll, was ich seit der letzten Erfarhung mit der Leber des andereb Kindes gelassen aufnehme. MM hat mit gesagt, dass das Zeugnis des Kindes, das meiner Meinung nach ein Genie ist, gar nicht genial ausfällt, was mich zum Weinen bringt.
Ich habe gehört, dass die Kinder meiner Freundin aus Rom hier sind und jeden Nachmittag schifahren, während ich meinen androhe, dass, wenn sie nicht mehr lernen, sitzen bleiben werden. In Italien sind nämlich keine Ferien.
MM kommt blass und gleichzeitig braun gebrannt von der Baustelle und in mir lodert die Eifersucht: Sonne, Menschen, Mittagspause mit Hulk genannten Maurern, Olivenbäume stutzen, wichtige Gespräche mit dem Obermaurer führen. Das alles wird nicht aufgewogen von der Buchhandlung, der Sonne auf dem Spielplatz, den Telefonaten mit der Mathematiklehrerin, dem von Nonna gekochtem Sugo auf der Pasta, anstelle der Panini, die mein Mann neben Hulk verzehrte. Möglicherweise bin ich nicht so arm, sondern selbstmitleidig und Tage, an denen ich die Erhaltung meiner Familie im konkreten Sinn als Hauptarbeit ansehen muss, entsetzen mich zutiefst. Daher setze ich zur Sprengung an: 1) das Gesundheitsambulatorium, 2) die Schule, 3) Maria Ritas Schultasche, 4) das Haus, in dem wir jetzt noch wohnen, auf dass das neue möglichst bald fertig wird.

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