Freitag, 12. Februar 2010

Aussitzen

Angesichts der Wetterlage geht es darum, zu überleben und auf bessere Zeiten zu hoffen. Italien ist im Schnee, wir im Regen, der Schnee über unseren Köpfen. Es ist eiskalt und meine Kinder fragen sich, was passiert, wenn das Meer einfriert. Ein Gewitter folgt dem anderen. Der Hund ist einem Nervenzusammenbruch nahe. Manche Kinder kommen nicht mehr in die Schule, weil Erdrutsche das Passieren des Schulbusses unmöglich machen, die Äolischen Inseln sind nicht mehr erreichbar, das Meer brüllt seit Tagen zu uns herauf. Heute morgen ein tiefblauer Himmel und ein grau-türkisgrünes Meer, beleuchtet von einem genialen Beleuchter. A pro pos: der Kameramann von Avatar, Mauro Fiore, stammt aus einem kleinen Ort im Gebirge in der Nähe. Er ist mit seiner Familie aber bereits weggegangen, als er sieben war. Glückwunsch.
Unser armes fenster- und türenloses neues Haus ist verwaist. Schon gestern kamen die Maurer nicht (aber die unverwüstlichen Installateure, die immer einen Zeitpunkt wählen, an dem sonst niemand dort ist), und heute schon gar nicht. Den Obermaurer sehe ich auf der Straße, als ich das Kind von der Schule abholen will. In zivil. Ich fasse es nicht. Er sieht aus wie er selbst, nur koloriert. Der Mann hat Stil. Alles ist gleich: die Jeans sind dunkel und nicht verwaschen, der Pullover ist schwarz und nicht grau, das Hemd ist weiß und nicht beige. Die Jacke ist dunkelblau und nicht blassviolett. Letztens vertraute er mir zerstreut an, dass er sein Gilet verloren hätte. Und dass er in der Jacke nicht arbeiten könne, aber nur im Pullover sei es zu kalt. "Es wird sich wieder finden." sage ich genauso zerstreut. "Was?" "Das Gilet." Er antwortet, sicher etwas denkwürdiges, aber ich kann nur zustimmend grinsen, denn leider verstehe ich ihn nicht, weil mir erschrocken klar wird, dass ich mit ihm rede, wie mit den Kindern, die auch immer alles verlieren und verlegen. So wie ich zum Kind sage: "Wenn ich zu deinen Schulkollegen nach Hause komme, dann kann ich dort einen Koffer voll deiner Kugelschreiber, Geodreiecke, Bunstifte, Filzstifte, Scheren, Spitzer, Lineale und Klebstoffe volladen", höre ich mich zu meinem Idol sagen: "Jetzt gehen wir mal überall dorthin, wo du deine Zementschleudern hingestellt hast und irgendwo wird es schon hängen, dein Gilet."
Morgen werden wir mit einem Spray die Position der Heizkörper bezeichnen, denn am Montag kommen wieder die Installateure, die wollen das wissen. Samstags gibt es immer einen Markt für Lebensmittel und für alles andere von Pflanzen bis Bekleidung im Ort, das hat uns anfangs gut gefallen, dann legte sich ein Schleier der Depression über alles, angesichts vermeintlicher Giftschiffe vor unseren Küsten, die Fischer, die ihre Ware von den dreirädrigen Fahrzeugen oder dem Koffer ihrer Autos aus verkauften, verschwanden. Jetzt ist es wieder netter, wie ich letzten Samstag auf unserem Blitzbesuch festgestellt habe. In nur fünf Minuten begegneten uns Schulkollege Natale mit seinen vier Geschwistern und dem fünften im Bauch der Mutter namens Candida, unterstützt von Oma Delfina, einer sympathischen Frau in meinem Alter. Im Hintergrund winkte der Architekt, dann flanierte auch die Religionslehrerin vorbei, die uns aber nicht sah, was das Kind quälte und mich freute. In diesen Tagen hat sie den Kindrn von der Madonna von "Sudes" erzählt, was ich als Lourdes interpretiere, nachdem ich erfahre, dass mein Kind mit heiligem Wasser von dort beträufelt wurde. Und das, weil ich ihn durch Abmeldung vom Religionsunterricht nicht ausgrenzen wollte. Nach zwei Jahren entschiedener Ablehnung von Kinderseite aus gegen den Besuch des Katechismus am Samstag nachmittag, ist derselbe nun durch eine Faschingsfeier zum ersten Mal attraktiv geworden. Fasching gibt es nämlich sonst wenig: der Umzug in unserem Dorf wurde abgesagt, weil der Sohn der Schneiderin, die die Kostüme für die Kinder machte (Pinocchio, Shrek) bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen ist, im Dorf über uns gibt es den Fasching nicht, weil sich im Sommer ein junger Mann aus Depression aufgehängt hat, in der Schule nicht, weil die Schwester der Englischlehrerin gestorben ist. Dabei habe ich heuer frühzeitig Schminkstifte gekauft und ich dilettiere also privat beim Schminken zum Clown und Katze und Pirat und MM schminkt kunstvolle Avatargesichter. Das ist gemütlich. So bringen wir (hoffentlich) diese anspruchsvollen Tage über die Runden. Am Valentinstag schminken wir uns Herzerln auf die Wangen und tun so als wär nix, weil die Gäste für das Geburtstagsfest wegen des Schnees in den Bergen nicht kommen, weil hier ja alle nur Sommerreifen haben, dafür aber ein Paar Schneeketten im Auto. Wir auch. Ob sie wer anlegen kann außer mir? Am Montag ist Schule mit Aufführungen oder ohne Fasching und am Faschingsdienstag ist frei und wir gehen ins Kino und schauen uns Avatar mit der Brille an. Also leider werden SIE Avatar sehen und ich werde mit dem kleinsten Kind, das keine 160 Minuten im Kino aushalten kann, einen Zeichentrickfilm sehen, was mich nicht stört, denn nach meinem ersten 3D Erlebnis im Kino (Piovono Polpette - es regnet Hamburger oder wie kann das heißen?) bin ich ohnehin noch rekonvaleszent.
Und dann ist auch der Fasching vorbei und bitte das Winterwetter.

Auf meinen langen Autofahrten höre ich oft ein zum Thema passendes tröstliches Lied, indem es darum geht, dass eben alles vorbeigeht und was dieser Winter bringen wird - wieder einen zerbrechlichen Frühling.

Passerà anche oggi passerà
come fosse una lacrima che scivola...
e dove andrà
forse tra i segni di un sorriso che amaro è,
ma passerà..

Questo inverno cosa porterà
un'altra primavera fragile

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