Dienstag, 23. Februar 2010

Dialog an die Palme

Es tut mir leid, dass ich ihren Sohn nie einlade, sage ich gestern zur Mutter des besten Freundes unseres ältesten Kindes, aber wir leben von einem Tag zum anderen und ich sei nicht in der Lage, etwas zu organiseren. Wir leben von einem Tag zum anderen - klingt ein wenig nach Wohnwagen. Aber es ist so und heute war wieder einer dieser Tage, an denen am Vortag alles anders geplant war. Beim Frühstück um 6.15 schaut MM drein wie ein Kanaldeckel, mir geht es gut, denn das jüngste Kind hat mir gestern die Freude gemacht, mich in sein Bett einzuladen, in dem ich sofort eingeschlafen bin. Der Kanaldeckel braucht einen Tag Auszeit und ich fahre unverhofft und durchaus vergnügt auf die Baustelle auf der ich echten Ramba Zamba vorfinde. 4 Maurer, 3 Elektriker und 1 Installateur. Langsam wirds eng mit dem Platz. Da ich aber noch immer unter den Einwirkungen des Kulturschocks mit MM stehe, rede ich nicht viel, murmle einen unfreundlichen Gruß und begebe mich ins rosa Zimmer. Dort funktioniert die ADSL-Leitung schlecht, der Strom fällt auch aus und als ich wütend die Tür aufreisse, stehen schon ein Elektriker und ein Installateur vor dem Sicherungskasten. Wenn der Strom weg ist "siamo fottuti - a dir poco" (sind wir am Arsch, um es höflich auszudrücken), sagen die Jungs. Dann beginnt es auch noch in Strömen zu regnen. Der Regenschirm ist im Auto und das ist weit. Ich habe Lust, die Tür noch mal aufzureißen und den nächsten, der vorbeigeht, anzuschreien. Aber der Strom kommt wieder und auch die ADSL-Leitung. MM telefoniert aus seinem Krankenbett und ich gehe mit dem Telefon durchs Haus und hole Infos ein. Da es so viele Männer sind, die hier arbeiten, frage ich einen: "Sind die Elektriker hier?" "Ich bin Elektriker", sagt der Mann, aber woher soll ich das wissen, schließlich steht er im Badezimmer.

MM will auch den Obermaurer sprechen und als der mir das Telefon zurückgibt, startet er die voraussehbare unvermeidliche Attacke:"Was sagen sie zu der Wand?" Mittlerweile sind einige Wände fertig und sie schauen aus, als ob gleich der Fotograf der Zeitung "Glückliches Wohnen im Landhaus" käme. Die grenzenlose Loyalität zu MM läßt mich "Mhmmhm" grummeln. Er hat mich im Schlepptau. Wir starren eine Wand im Kinderzimmer an. Im Zentrum des Raums sind der Zement und der Sand oder Schlamm, ein Gemisch, das aussieht wie Dinosaurierscheiße, mit dem die freigelegten Steine verbunden werden. Der Architekt hat gesagt, sie müssen mehr Sand nehmen, sonst wird es zu dunkel. Da ich nichts zur Wand sage, wechselt der Obermaurer das Thema und wir reden über das Wetter, das wirklich einiges hergibt. In diesen Tagen reden alle über das Wetter, aber nicht einfach so. Es macht uns fertig. Es hört nicht mehr zu regnen auf. Man kann nichts mehr tun, schon gar kein Haus bauen. Vielleicht kann man Rechtsanwalt sein oder in einer Bank arbeiten. "Auch das Gewand trocknet nicht", sagt der Obermaurer mit Blick auf seine Mitarbeiter. Hängen die alle die feuchten Arbeitshosen bei ihm auf? Mir braucht er da nichts zu erzählen. "Immer diese Wäscheständer in der Wohnung, das geht gar nicht mehr."
Aber er denke immer daran, dass es vielen schlechter ginge auf dieser Welt. Und nicht mal so weit weg. Ich sage, ich hätte gestern mit einem Typen vom Umzugsservice telefoniert, der gerade einen Umzug für Leute aus einem Erdrutsch machte. Das sind die echten Probleme, darüber sind wir uns einig. Ich schaue zu unserer Decke, die wir immerhin noch über dem Kopf haben.
"Geht es um die Möbel?" will er wissen. "Nein, es geht um die Bücher." Er kann nicht wissen, dass wir außer ein paar Küchenschränken, 2 Tischen, Stühlen und ein paar Kommoden keine Möbel besitzen. Zumindest tut MM immer so, als hätten wir keine Möbel. Wir haben doch auch Betten.
Im Süden ist es schwierig, sagt er. Und es gibt keine Perspektive, sage ich. Die Jungen haben keine Zukunft. Und ohne Matura ist man heute gar nichts, sagt er. Das muss er jetzt sagen, weil er keine hat und ich von Büchern geredet habe. Ich sage, aber an der Uni sind viele Studenten, die gar nicht qualifiziert sind, sondern nur einfach noch ein paar Jahre untergebracht. Und das stimmt. Und was machen die dann? Mit 25 einen Handwerkerberuf zu lernen ist erniedrigend, sagt er. Und mit 30 sollte eine Frau eine Familie gegründet haben, und ein Mann auch. Aber ein Handwerker zu sein, ist doch besser als ein Akademiker ohne Zukunft, sage ich. Lieber Gott, lass meine Kinder glückliche Maurer werden!
Leider wollen meine Kinder, zumindest aus heutiger Sicht, rasende Autofahrer werden ("ich brauche keine Verlobte, ich werde Rallyefahrer und werde früh sterben"), Erfinder oder Lehrer und Erfinder gleichzeitig ("am Vormittag unterrichte ich, am Nachmittag erfinde ich").
Nach einer Weile Süden (ganz ohne Politik) sage ich: "Wir müssen das Thema wechseln, sonst bekommen wir Depressionen". Das kann er und es geht weiter. Immer wenn wir etwas Wichtiges oder nichts mehr zu sagen haben, starren wir die Palme vor dem nicht vorhandenen Fenster an. Er macht mir Komplimente zum Haus, das sicher eines der schönsten der Gegend würde, und dass die Leute hier leider nicht den Verstand hätten, es so zu machen, oder es sich nicht leisten könnten. Und manche würden sich zu weit aus dem Fenster lehnen. Da wird mir trotz des kalten Wetters heiß und ich möchte sagen: "Bauen Sie ihr Gerüst besser gleich ab, denn den Verputz können wir glaub ich eh nicht zahlen."

Ich sollte einen Ofen im rosa Zimmer haben. Ja, sage ich, ich dachte, der Winter gehe schneller vorbei und ich sei weniger hier.
Ich verschränke die Arme vor der Brust, er auch.
Er sagt, er sei von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends auf den Baustellen im Winter und im Sommer noch mehr. Ich starre ihn an. "Es ist, weil ich nichts anderes kann" sagt er mir direkt ins Auge. Ich müsste sagen: "Aber das können Sie verdammt gut." Aber er spricht weiter: "Ich mag die Natur und ich habe ein bisschen was angebaut, aber ich kann nicht einmal kochen."
(In einer Art flashback erinnere ich mich an meine Putzfrau, die angesichts der Tatsache, dass MM bügelt, meint, ihr Mann könne ein Bügeleisen nicht einmal einschalten. Ich bin versucht, ihr zu antworten:"Was kann der eigentlich?") Hier bin ich aber zutiefst entspannt und sage zur Palme: "Es geht doch gar nicht darum, etwas nicht zu können, sondern vielmehr darum, was einen interessiert." Es wäre auch nie notwendig gewesen zu kochen, sagt er, denn das mache schließlich seine Signora. Das wäre eigentlich meine Antwort gewesen, naja.
"Gehen wir wieder arbeiten", sage ich. "Ja", sagt er. "Ci siamo ricaricati". Wir haben uns wieder aufgeladen. Das kann er eigentlich nur für sich behaupten, aber auch mir geht es gut und nach einigem Nachdenken, erkenne ich, warum: er hat mich nicht unterbrochen. Alle, alle, alle Italiener unterbrechen einen dauernd. Meistens schreien sie "No!", wenn man beginnt, etwas auszuführen, denn sie wissen es besser. Oft berühren sie einen dabei am Arm oder an der Schulter. Manche kletzeln einem auch zerstreut Haare von der Jacke. Da Italiener meistens mit Italienern reden, berühren sie einander gegenseitig am Arm, schreien abwechselnd "No!", unterbrechen sich nach wenigen Worten, fuchteln mit den Armen in der Luft und drehen sich im dramaturgisch ausgewählten Moment vom Gesprächspartner weg, um mit dem Fuß im Staub zu scharren. Echte Italiener schaffen es, sich sofort nach einer Unterbrechung wieder einzubringen oder parallel zum Gesprächspartner zu reden oder Einsprengsel wie "Nein", "Schön wäre es, aber es ist nicht so!" und "Hab ich dir doch gesagt!" sowie "Hör mir zu, denn das weiß ich!" einzuflechten.
Das Gespräch zwischen dem Obermaurer und mir plätscherte gelassen vor sich hin, mit Pausen nach dem Gesagten, sicker sicker, dann sagt der andere was und so weiter. Ist das so, wenn man vor einer Palme redet?
Ich gehe ins rosa Zimmer und frage mich ob das outing von wegen, ich kann nichts anderes, im Gegenzug ein outing von mir verlangt. Ich bin sicher, er will wissen, was genau ich im rosa Zimmer mache.
Ich höre ihn singen. So aufladen wollte ich ihn nun auch wieder nicht...Dass Handwerker gerne singen, halte ich für eine nicht unbedingt notwendige Leidenschaft. Zumal schon zu Beginn des Tages einer der Arbeiter vor dem rosa Zimmer immer wieder den Reim eines Kinderlieds sang, das meine Kinder viel besser können: "Il coccodrillo come fa? è che nessuno non lo sa!" Niemand weiß, welche Geräusche ein Krokodil von sich gibt.

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