Mittwoch, 10. Februar 2010

...and into the blue

Aus Gründen, die gemeinhin Liebe genannt werden, habe ich vor mehr als 13 Jahren beschlossen, in Italien zu leben. Die Liebe zum Mann wird mit den Jahren immer leichter, die Liebe zum Land ist in letzter Zeit schwer mitgenommen und hängt wie ein vom Wind zerfetztes altes Geschirrtuch auf der Wäschleine.
"Jeden Tag," möchte ich zum fiktiven Therapeuten sagen, der zwischen mir und Italien vermitteln soll. "Jeden Tag die selben Vorkommnisse, ich halte das nicht mehr aus."
Im Oktober hat eine Demonstration in unserer Gegend stattgegefunden, die es bis dahin noch nicht gegeben hatte. In den ersten zehn Minuten habe ich nur geweint. Darüber, dass es Menschen gibt, die etwas für dieses Land tun wollen (oder wollten - einige leben nicht mehr). Dass es Menschen gibt, die nicht die Schultern hängen lassen, wenn vor unseren Küsten Schiffe mit unbekanntem Inhalt im Meer versunken lagern. Dass wir nicht allein sind. "Amazzateci tutti" (Bringt uns alle um) ist der Name einer von jungen Menschen gegründeten Organisation, die gegen die Mafia eintritt.
Auf Transparente haben die Menschen geschrieben: Ich will hier bleiben.
Roberto Saviano schreibt in The New York Times über die Revolte der Afrikaner in Rosarno. Die Immigranten würden sich den Regeln der Mafia widersetzen, so wie auch einige Italiener: "Es gibt die, die Widerstand leisten, und die, die über ausreichend Freiheit und Mittel verfügen, Orte wie Rosarno zu verlassen und ihrerseits auszuwandern."
Ich denke oft über die Worte Freiheit und Mittel nach (das hat aber nichts zu bedeuten, denn ich denke auch über das Wort Schlagloch nach). MM und ich reden manchmal darüber, wie es wäre, wegzugehen. Nachdem wir ein Haus gekauft haben, haben wir tatsächlich weder die Freiheit noch die Mittel, was aber nur einer der Gründe ist, nicht wegzugehen.
Aus der Küche kommt der Geruch der Brokkoli, die unsere neue Nachbarin Teresa MM mitgegeben hat, gemeinsam mit einem Sack Scarola, sechs Eiern und einem Glas Melanzane sott'olio, eingelegten Auberginen. Ich weiß, dass vierzig Kilometer von mir entfernt ein Gerüst aufgebaut wird, von dem aus der Grobverputz auf die Wände unseres Hauses geworfen wird, zumindest hab ich das so verstanden. Vor dem Eingang haben die Maurer eine wunderbare, perfekte Ebene geschaffen, die ich zuerst ablehnte und von der ich dann begriff, dass ich über ihr wie Cristo und Jeanne Claude Stoffbahnen wehen lassen kann, seitdem liebe ich sie.
Unsere Maurertruppe besteht aus lauter fähigen Männern, von denen keiner ausgebeutet zu werden scheint, und die alle aus der Gegend stammen. Am Nachmittag nimmt sich Teresas Sohn, der, nachdem er die Olivenbäume gestutzt hat, jetzt bei uns den Wassergraben aushackt, seine Ziege mit, die dann auf unserer Wiese frisst.
Darum will ich hier und nirgendwo anders leben. Auch wenn jetzt gegen Bertolaso, den Chef des Zivilschutzes ermittelt wird. Ach. Das ist die Verwirrungs- und Verunsicherungsmaschine: Personen, die wir bisher für anständig oder kompetent oder gar beides gehalten haben, stellen sich plötzlich als korrupt heraus. Oder sollen sich als solches herausstellen. "Ich weiß es nicht", sage ich zum fiktiven Therapeuten. Und er schweigt. Eine Antwort gibt der Rap von Gianna Nannini und Fabri Fibra (origineller Name) : Ci sono cose che nessuno ti dirà, ci sono cose che nessuno ti darà, sei nato e morto qua, sei nato e morto qua, nato nel paese delle mezze verità.
(Es gibt Dinge, die dir niemand sagen wird, es gibt Dinge, die dir niemand geben wird, du bist hier geboren und gestorben, geboren im Land der Halbwahrheiten.)

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