Freitag, 19. Februar 2010

La signora prende un'aperitivo

Eine Welle nicht gleich sichtbaren Erfolgs hat mich auf den Hauptplatz der Stadt geführt, wo ich nun im ersten Stock eines wunderbaren Cafès sitze und auf den zähflüssigen Mittagsverkehr schaue. Ich frage die Kellnerin, ob ich hier oben essen muss, oder ob ich auch nur einen Aperitif einnehmen kann und ob es stört, wenn ich meinen Computer auspacke. Sie gibt mir eine Antwort, die eine höflichere Formulierung von "Bitte machen Sie was Sie wollen, nichts ist mir gleichgültiger als das" ist, aber sie ist sehr nett und setzt mich neben die Steckdose. Manchmal liebe ich die italienische Wurschtigkeit.

Erster Erfolg: nachdem ich bereits frühmorgens an der Schwelle zu einem Wutanfall stehe (Immer ich, immer ich, immer ich habe keine Zeit zum Zähneputzen und schnappe mir parallel zu der im Dauereinsatz stehenden elektrischen Zahnbürste ein Vorgängermodell dessen Bürste kaum in den Mund passt, so groß ist sie) sagt ein Kind, als ich meinen Computer (schon wieder 7.15 statt 7.10) in den Kofferraum werfe: "Wie bist du schön!". Es wird benebelt von der Parfümwolke sein, in die ich mich zähneknirschend gehüllt habe, oder ist es, weil ich heute zum ersten Mal seit drei Monaten keinen Rollkragenpullover anhabe? Heute morgen wurden wir von 21 Grad überrascht, und bereits die zweite aus dem Kasten gerissene Bluse passt zur Hose. Ich bin also sehr milde gestimmt. Das Kind wird sicherlich einmal in die Politik gehen.

Zweiter Erfolg mit Hindernissen: ich komme auf unserer Baustelle an und muss das Auto rückwärts auf einer steilen Auffahrt parken. Der Motor stirbt dreimal ab, die Reifen drehen im Schlamm durch, beim Aussteigen muss ich fast aus dem Auto springen, so hoch steht es, ich hasse MM, der sich sowas blödes hat einfallen lassen, ich bin überzeugt, dass mir mindestens 8 Maurer zugeschaut haben, die sich in ihren völlig ungerechtfertigten Vorurteilen bestätigt fühlen, ich gehe also mit rotem Kopf durch "il fango", den Schlamm, der sich in diesen Tagen gebildet hat, springe über die großen roten Schläuche und rede mir ein, dass ich das mit dem Parken sehr gut hingekriegt habe. Vor der (grünen) Tür zum rosa Zimmer stehen der Obermaurer und Maurer Adriano, der in die Kunst der Steinwandrenovierung eingeführt wird. Der Obermaurer begrüßt mich mit veritabler Begeisterung:"Ooh, Signora!"Das ist aber noch nicht der Erfolg. Auch die wirklich wunderbare Steinwand rund um unsere Schlafzimmertür ist es noch nicht. Ich sage es ihm, sie ist schöner, als ich es mir vorgestellt habe. Ich sage: "Können Sie sich jetzt verwirklichen?" Er sagt: "Wie bitte?" Ich sage: "Ist es nicht schöner, solche Mauern zu machen, als Ziegelwände?" Jetzt versteht er mich, aber wahrscheinlich hat er Angst, er müsste nun mir was zahlen, wie Tom Sawyer, der sich beschenken ließ, um den anderen Jungs die Erlaubnis zu geben, den Zaun der Tante zu streichen. Natürlich macht ihm das mehr Spaß und am meisten hasst er Rigipswände, aber die Leute wollen halt schnell bauen und die wenigsten Maurer könnten überhaupt noch Steinwände machen. Alles was ich mir über diese Steinwände denke, fällt mir nicht mehr ein und ich sage also: "Na dann gute Arbeit noch." Er sagt: "Ihnen auch, Sie sind ja auch zum Arbeiten hier."
You made my day!!
"Oh ja", sage ich. Aber dass er das weiß?! Dass ein Mann wahrnimmt, dass eine Frau, die Stunden allein in einem Zimmer verbringt, arbeitet?!

Und jetzt hier im Cafè Renzelli mit einem Olivenkern im Mund, vor mir ein halb gegessener Aperitiv mit kleinem Bätterteiggebäck, Oliven, Salzmandeln und Chips. In einer halben Stunde muss ich zu arbeiten beginnen, hoffentlich vergesse ich nicht, hier wieder wegzugehen.

Gestern kam MM nachmittags heim und legte sich sofort aufs Sofa, das Kind, dankbar vor seinen mathematischen Problemen fliehend, zog ihm die Schuhe aus, da schlief er bereits. MM hatte auch mit seinem kleinen Hammer namens "Bicozza" Verputz von den Wänden geschlagen. Als er wieder aufwachte, erzählte er, dass jetzt das Haus zu erkennen wäre. Auch der Obermaurer und der Architekt würden es schön finden. MM scherzte, er könne es ihnen ja verkaufen. Der Architekt meinte, es gäbe viele alte Häuser zu renovieren. Ich sage, na dann können sie ja loslegen, der Architekt und der Obermaurer, nachdem wir den Prototyp geschaffen haben. Oder gefiele das den Leuten nicht? MM glaubt, dass es allen Männern gefallen würde, aber den Ehefrauen nicht. Ich bin beunruhigt.
Aber es stimmt gar nicht, dass es so viele alte Häuser zu renovieren gibt. Alte Häuser gibt es zwar genug, aber sie werden nicht verkauft. Weil für die 7-8 Erben einzeln wenig rausschaut. Die lassen dann lieber das Dach einstürzen. Oder sie haben eben viel zu hohe Preise und warten auf den legendären Engländer, der genug Geld hat. Alte Häuser im Familienbesitz hingegen bleiben stehen und daneben wird dann der Neubau aufgezogen. Das wurde zum Sinnbild der kalabresischen Architektur. Das andere Sinnbild sind die unverputzten Häuser, was ich jetzt gut verstehen kann, seit ich weiß, was das Verputzen kostet. Wir allerdings haben bereits die Farbe des Verputzes ausgesucht. Und das Gerüst steht ja auch schon, ein weiterer gigantischer Kostenfaktor. Deshalb wird die Seite zum Nachbarn hin unverputzt bleiben. Das ist ein wenig unverschämt, aber so kennt er das Haus jetzt seit mehr als 17 Jahren, denn solange sind die Vorbesitzer schon weggezogen. MM war allerdings so freundlich oder so besonnen, die Maurer wieder Regenabflüsse abreißen zu lassen, die diese frech in den Garten des Nachbarn gerichtet haben.

Unser Haus besteht aus drei Teilen. Dem Kern, der mehr als hundert Jahre alt ist und in Form eines "Torrione" gebaut ist, das heißt, die Wände sind unten breit und verjüngen sich nach oben. Das sind vier Räume: was unverdächtig als Esszimmer gedacht sein könnte, wird unser Medienraum (Computer und Fernseher), dann die Küche, oben das Schlafzimmer und ein Zimmer, das auf italienisch Studio heißt, ein Arbeitszimmer. Seitlich wurde ein Haus angebaut, das sicherlich auch sechzig Jahre alt ist. Für uns heißt es "Das Haus der Schwester". Das können wir derzeit nicht renovieren, sonst hätten wir dort eine schöne Küche gemacht. So wird es der Eingang (mit der alten Holztür und dem großen Schlüssel, wie bei der Uroma) und oben ist das rosa Zimmer, das mein Arbeitszimmer wird, solange der Schweinestall unrenoviert bleibt. Dann haben die Vorbesitzer, um die Verwinkelung zur Perfektion zu treiben, einen Neubau hingestellt, der die berühmte Treppe beinhaltet, oben ein Zimmer und ein Bad vorsah, woraus wir ein Zimmer und zwei Bäder gemacht haben und unten eine überdachte Terrasse, was unser "Salon" mit den großen Fensterfronten und einem Badezimmer wird. Anschließend kommen "il forno", ein kleines Häuschen mit einem riesigen Holzofen für Pizza und Brot und "il magazzino", ein langgezogener Raum mit einem Fenster ohne Glas, nur mit Holz. Unterhalb gibt es noch "la cantina", den Keller, der aber nicht unter der Erde ist, und in dem ich schon lange nicht mehr war. Dort haben die Vorbesitzer netterweise ungefähr 100 l sauren Wein gelassen. Vielleicht sollte ich mich in der Essigproduktion versuchen. Am Beginn des Obstgartens steht noch ein Schweinestall, aber nicht meiner, meiner ist neben dem Haus. Im unteren Schweinestall wollten die Künstler in der Familie einmal ein Atelier machen. Außerdem gibt es noch eine Garage und daneben einen überdachten Platz, an dem die Freiluftdusche stehen wird. Wo früher eine Treppe zu "la cantina" hinunter führte, gibt es jetzt eine Terrasse. Die 50 qm Terrasse oben ist eigentlich das Dach des Neubaus. Über dem rosa Zimmer gibt es auch ein Flachdach, wo im Moment "la passerella", der Übergang, den die Maurer geschaffen haben, endet. Über dem alten Teil gibt es einen Dachboden mit einem Dach mit alten Dachschindeln. Ich denke, dass in den nächsten Jahren das größte Kind dort einziehen könnte. Hauptsache, es macht mir keiner den Schweinestall abspenstig! Eigentlich wollten wir ein begrüntes Dach, aber das hat uns der Architekt verboten, denn das Dach ist nicht stabil genug, um das große Gewicht auszuhalten. Der Neubau muss nämlich viel mehr renoviert werden als der alte Teil und als der Obermaurer den Boden der überdachten Terrasse aufstemmen musste, die jetzt unser Salon wird, hätte er angeblich fast geflucht. Geflucht wird nämlich nicht auf seinen Baustellen. Aber der Zement war so unverwüstlich, wie man es sich von den tragenden Säulen gewünscht hätte.
Nicht zu fluchen macht orginell: zwischen zusammengebissenen Zähnen hätte er gesagt, er müsse demnächst einen Kredit aufnehmen, um die Leute zu zahlen, die diesen Zement aufrissen. Vielleicht auch ein neues Lebensmotto: statt "porca puttana!" und "per la miseria!" zu rufen, schieben wir jetzt ein bonmot nach dem andern raus. Ich schlage das den Kindern vor, ich habe ohnehin schon drei Worte, die mit C beginnen, auf die schwarze Liste gesetzt.

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