Samstag, 27. Februar 2010

Primavera

Auf der Baustelle wuseln die Maurerjungs beglückt außen herum, endlich Sonnenschein, endlich kein Schlamm mehr, endlich wird verputzt, sie stehen nicht mehr zu fünft in einem Zimmer. MMs Arbeitszimmer ist fertig und ich bin neidisch. Da die Steinwände nicht gerade sind, sondern sich nach oben verjüngen, enstehen Nischen. Die für die kalabresische Architektur typischen Ausnehmungen in den Mauern, in die die Arbeiter früher die Gerüstbalken gesteckt haben, kamen zum Vorschein und geben dem Zimmer etwas Aufregendes, das ihm mit Verputz so sehr gefehlt hat, dass ich es nie als Arbeitszimmer wollte, was mir jetzt leid tut. Aber gut, ich habe das rosa Zimmer und eine Zukunft im Schweinestall. Ein junger Mann hat uns zum Thema Solarenergie beraten und heute ist ein Tag, an dem man schreien möchte: her mit der Solarenergie, koste sie was sie wolle. Da der untere Schweinestall, auf dessen Dach die Solarzellen installiert werden sollen, noch nicht im Kataster steht, können wir das aktuelle Supergoofy-Angebot des jungen Mannes nicht nutzen, aber wir haben ohnehin schon auf jeder Flamme einen Topf stehen, vielleicht muss ja nicht alles auf einmal passieren.

Entflammt sind alle, allen voran meine Buben, die am Samstag bei einer Riesenparty eingeladen waren und gestern Besuch von ihren drei Freundinnen hatten. Bereits vor dem Mittagessen steckte mir der verlobungsunwillige zukünftige Rallyefahrer zu, dass er mir was sagen müsse, aber nicht könne, weil ich sonst in Ohnmacht fallen würde....
An der Strandpromenade gröhlen die Jugendlichen ausgelassen, Motorräder heulen bis spät nachts durch die Gegend und tagsüber ist die Sonnenbrille endlich wieder im Dauereinsatz. Also beschließe auch ich, dass mir zu meinem Glück oder Eustress nur noch ein Geliebter fehlt. Da mein perfekter Ritter aber Qualitäten haben müsste, die nur ein überirdisches Wesen in der Gestalt eines Mannes aufweisen kann, muss ich ihn mir nun erfinden:
Er darf nur auftreten, wenn es für mich opportun ist, er darf keinerlei Ansprüche stellen, er darf nicht sein Leben mit mir teilen oder neu beginnen wollen, er darf nicht allzu viel aus seinem Leben erzählen, soll sich im Gegenzug aber alles aus meinem Leben anhören. Er muss Verständnis dafür haben, dass ich wenig Zeit habe und nicht immer am Telefon antworten kann. Er soll möglichst wenig Ticks haben, besonders häufiges Räuspern oder Krachen mit den Fingerknöcheln ist ein Ausscheidunsgrund. Er soll maßlos sein, ohne je die Grenzen zu überschreiten. Er soll im richtigen Moment anrufen und sagen: "Ich stehe im Supermarkt und ich liebe dich so sehr, dass ich sterbe, wenn ich dich nicht innerhalb der nächsten 24, 48, 96 Stunden (oder auch innerhalb einer Woche) sehen kann." Das reicht eigentlich. Von mir aus kann er immer im Supermarkt stehen und mir sagen, dass er mich liebt. Das verhindert, dass er in unangemessenen Augenblicken allzu anzüglich wird. Vielleicht sollte er der Einfachheit halber in einem Supermarkt arbeiten?
Er muss sehr gewieft sein, damit ich nicht drauf komme, dass mein Ehemann eventuell charmanter als er ist, oder gar meine Kinder. Und meine Kinder sind schwer zu toppen: "Mamma, ich liebe dich so sehr, dass ich dich fast heiraten möchte."

Ich überlege, ob es besser wäre, einen Brieffreund als Geliebten zu haben, zumal ich gestern Daniel Glattauers Buch "Gut gegen Nordwind" auf italienisch übersetzt in der Buchhandlung gesehen habe, worauf ich dieses Buch zum ersten Mal interessant fand. Auf dem Einband stand, dass Schreiben wie Küssen ist, nur ohne Lippen, oder so ähnlich. Diese Ansicht teile ich nicht, da ich auf Stimmen abfahre. Ich kann mir gut vorstellen, durch halb Italien zu fahren, um den Telecom-Mitarbeiter mit der erotischen Stimme kennenzulernen oder um festzustellen, ob der Techniker (noch immer Telecom), der meine ADSL-Leitung zum Funktionieren gebracht hat, auch in anderer Hinsicht ein Mann ist, dem ich mein Schicksal in die Hände legen möchte.
Margaret Atwood schreibt, dass nicht der Sex das Problem ist , sondern die Sprache. Ich nehme an, sie meint die gemeinsame Sprache, aber ich denke an die Sprache an sich. Der Geliebte muss also mit aufregender Stimme grammatikalisch einwandfrei und inspiriert sprechen. Kann ich das von einem Supermarktmitarbeiter erwarten?
Mein idealer Geliebter soll mir gute Ratschäge geben, aber nur, wenn ich sie hören will. Er soll keine Ratschläge von mir wollen und mich nicht in die Situation bringen, dass ich welche geben will. Er soll kompetent in seinem Arbeitsbereich sein, aber auch im öffentlichen Raum ein gute Figur abgeben. Ich will ihn nur so oft sehen, dass ich seine Eigenheiten nicht mitbekomme. Ich will nicht bei ihm zu Hause sein, außer er ist Junggeselle und die Putzfrau ist gerade erst gegangen. Er soll kein Freund von meinem Mann sein und seine Frau soll nicht meine Freundin sein. Wenn es leicht geht, soll er nicht zwanzig Jahre jünger als ich sein. Wenn er zwanzig Jahre älter als ich ist, soll er nicht übergewichtig sein.
Und sonst? Er soll freundlich sein und das bitte immer. Er soll oft lachen (aber nicht blöd, sondern weil ich so lustig bin!).

Ich werde ihn nicht suchen, ich weiß, dass ich ihn nicht finden kann. Aber ich werde mich umschauen und einen Probeflirt beginnen. Ich habe letzthin schon einem Mann in einem original Alfa Romeo Giulietta zugewunken. Das Auto hat er wahrscheinlich gekauft, als er jung war. Jetzt muss er um die 80 sein. Von ihm kann ich mir schlecht erwarten, dass er mir sagt, er stirbt, wenn ich ihn nicht erhöre. Ich glaub, ich lass es. Zum Glück ziehen schon ein paar Wolken auf.

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