Samstag, 13. Februar 2010

Sternstunden auf der Baustelle

Als wir heute morgen mit unserer grünen Spraydose auf der Baustelle anrücken, um die Heizkörper mit R wie Radiator oder Riscaldamento zu bezeichnen, stellen wir zu unserem Erstaunen fest, dass die Maurer ja doch gestern da waren. Fensterhalterungen wurden gesetzt, unbekannte Sandberge häufen sich, in den neu aufgezogenen Wänden befinden sich ordentliche Öffnungen, in die Glasziegel kommen werden, ich sehe zum ersten Mal die Tür, die vom mittelalten Teil in den ganz alten Teil führen wird, und mir wird ein wenig bang, hoffentlich haben sie sich das mit der Statik auch wirklich überlegt. Auf der eigentlich noch nicht vorhandenen Decke im Kinderzimmer ist es nass, auf dem Balkon steht der Regen. Aber der Grundtenor ist erbaulich und wir haben endlich Zeit, anläßlich der Heizkörper über einiges zu reden. Das Kind, das samstags schulfrei hat, macht währenddessen Modeschau auf den Brettern, die eigentlich für die Scheibtruhen vorgesehen sind. Es regnet und es ist grauenhaft kalt.
Als wir bereit sind, wieder zu gehen, eventuell noch auf den Markt, aber auf jeden Fall, um aufladbare Batterien für die in unserem Haushalt vielfach vorhandenen fernsteuerbaren Autos zu kaufen, taucht plötzlich he himself auf, der Obermaurer, der Sand von einer anderen Baustelle gebracht hat, weil der Sand bei uns zu nass geworden ist. Und so können wir auch mit ihm über einiges reden und vor allem: ich bin dabei. In Wirklichkeit ist das Paradies ja warm und mit üppigen Pflanzen versehen und mit diesen Menschen, die sich ihrer Nacktheit nicht schämen und wahrscheinlich schwirren zufriedene Insekten darin herum. Mein Paradies ist grau wie die grobverputzten Wände und es zieht ein eisiger Luftstrom durch. Wir stehen vor einem zukünftigen Fenster und setzen den Rahmen des Fensterglases an, von dem wir heute morgen ein Probestück mitgenommen haben. Das Kind will dem Obermaurer erzählen, dass in der Nacht sein Vorderzahn ausgefallen ist, aber es unterbricht niemanden. "Ich bin nämlich ein intelligentes Kind, ich warte." sagt das Kind. Ich bin erstaunt, diese Intelligenz wendet es mir gegenüber nur selten an. Kaum geht MM etwas holen, flieht auch das Kind, statt Konversation zu betreiben. Ich habe also Gelegenheit, eine lang gehegte Frage zu stellen: "Arbeiten Sie nie mit Handschuhen?", ich starre auf seine großen Hände. Die Antwort hätte ich mir auch selber geben können, nein, nur wenn er den LKW ablädt, es würde ihm sonst das Gefühl fehlen. Aber die Hände seien natürlich immer rau und die Konsequenzen würde er dann beim Schreiben merken. Beim Schreiben? Ich weiß schon, es geht um Kostenvoranschläge und Abrechnungen, aber die Vorstellung, dass er abends mit seinen vom Zement ausgetrockneten Händen Tagebücher, Briefe oder Memoiren schreibt, gefällt mir auch.
Das Kind stellt nun doch seine Zahnlücke vor und der Obermaurer sagt, dass jetzt die "Zahnmaus" kommen wird, die den Zahn gegen 2 Euro austauscht. Da das Kind zwar an den Weihnachtsmann und die Befana glaubt, aber davon überzeugt ist, dass ich das Geld unter den Kopfpolster lege, ist erst nach dieser kompetenten Auskunft bereit, mit den Worten:"Jetzt glaub ich's!" mir mit seinen 30 kg von einem Bretterstoß aus in den Arm zu springen, das aber dafür zehnmal.

Wir gehen von einem Badezimmer zum anderen und legen fest, wie hoch welche Fliesen verlegt werden und ich versuche, mich zu konzentrieren und schaffe es, das Kind mit dem Hinweis, dass im rosa Zimmer ein Block und ein Stift sei, von uns abzulenken. Was die Dusche betrifft, wollte ich immer schon einfach einen gefliesten Boden statt einer Duschtasse und das werden wir jetzt auch haben, es heißt: doccia artigianale. Dusche nach handwerklicher Methode, ha, oder Handwerkerdusche? MM wirft ein, dass der Installateur nicht ganz überzeugt sei, ob das Ding auch dicht werde, aber der Obermaurer bindet uns immer mit Geschichten aus seinem Umfeld ein, das lernt er wahrscheinlich bei Marktstrategen. So hat er zum Beispiel einen kleinen Wasserfleck auf einer Sesselleiste in seinem Bad, das er vor zwanzig Jahren gemacht hätte, an den er sich, wie soll er sagen - gewöhnt hätte (fällt MM nach angemessenem Schweigen und intensivem Gedenken an winzige Wasserflecken ein), und er hätte auch eine Duschtasse, also das Abdichten würde er deswegen auch bei Duschtassen machen und nicht nur bei den handwerklichen Duschen.

Das Kind präsentiert die erste Zeichnung: MM und ich sind mit Faschingsmasken verkleidet und zwischen uns steht etwas Essbares, ein Riesenkeks, und wir sehen auch aus, als hätten wir eben ein halbes Hochzeitsbuffet in die dicken Wangen gestopft. Um Zweifeln zuvorzukommen, stehen unsere Vornamen über unseren Köpfen. Sehr schön, weiter so.

Wir schreiten zum zweiten Bad. Die Höhe der Fliesen. Wieso sie nicht niedriger sein kann, so wie sie der Obermaurer vorschlägt. Das sage ich so nicht, sondern gebe mich entspannt: das kann ruhig niedriger sein. Ich sehe mich einen Quadratmeter Fliesen sparen. MM gibt alles: es handle sich um ein bühnenbildnerisches Element, so dass die Fliesen bis zu diesem und keinem anderen Vorsprung reichen müssten. Der Obermaurer und ich schweigen erschrocken. Über so hintergründige Dinge haben wir nicht nachgedacht. Einen Moment lang halte ich MM für erholungsbedürftig. Aber ich kenne ihn auch. Solche Antworten gibt er, wenn er nicht diskutieren will und meinen Subtext verstanden hat. Wenn ich insistiere, beginnt er womöglich Pasolini zu zitieren. Man wird ein anderes Mal darüber sprechen, wenn nötig.

Im dritten Bad prescht der Obermaurer mit seiner lang gehegten Frage vor: "Signora, wie finden Sie eigentlich unsere Arbeit?" Ich schneide verlegene Grimassen und stoße ein heiseres "Unglaublich" hervor. Was soll ich sagen? Ich liebe euch, ich liebe euch alle! Oder: Eh super. "Wir haben einiges getan," gibt sich der Obermaurer selbst eine bescheidene Antwort für die letzten drei Monate Herzblut und Wahnsinn.

Das Kind präsentiert die nächste Zeichnung, Mama und Papa, die sich küssen. Mir wird es langsam peinlich.

Wir stehen in der Küche, in der, wie im ganzen Haus, Steinwände Steinwände bleiben werden und andere Wände verputzt werden. Aber damit Steinwände Steinwände bleiben können, müssen zwei Maurer etwas machen, das ich mir noch nicht recht vorstellen kann, und das auch im Kostenvoranschlag noch nicht steht. Der Obermaurer sagt: "Da fällt mir auf, dass sich hier eigentlich eine recht schöner Teil Wand befindet." Er hat recht, ein perfektes Stück Mauer wie aus der Zeitschrift "Restaurieren im Countryhousestil" präsentiert sich dort, wo ich später einmal Geschirr waschen werde.

Auf der nächsten Kinderzeichnung gibt Papa Mama einen Strauß Rosen, "das ist bevor ihr heiratet." Ich möchte gehen. Eigentlich möchte ich hier bleiben. Aber wer weiß, was als nächstes kommt.

Also schönen Sonntag, ebenfalls.

Als wir wegfahren, steht er auf dem Dach, er plaudert mit unserem Nachbarn, dem Vater von Stefano, der ebenfalls Maurer ist. Er steht auf dem Dach, als wäre es seines, das ist gut so. Der Regen, der auf dem Balkon steht, geht ihm auf die Nerven, als ob es sein Haus wäre, sagt er. Und das größte Kompliment hat er unserem Haus vor ein paar Wochen gemacht, als er gesagt hat, wenn er von diesem Haus gewusst hätte, dann hätte er es seinem Sohn gekauft. Ein Auto würde er ihm nicht kaufen, aber dieses Haus schon.

Auf der Fahrt nach unten zeichnet das Kind die Maus neben dem schlafenden Kind, in einer Pfote hält sie den Zahn, in der anderen eine zwei-Euro-Münze.

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