Freitag, 5. Februar 2010

Just a perfect day

Aus verschiedenen Gründen haben meine Kinder ein Verhältnis zur Religion, das erst seit kurzer Zeit besteht. Das führt zu erstaunlichen Unsicherheiten. Ein Kind fragt, angesichts eines Projekts in der Schule, das seiner Meinung nach "Anna Franka" heißt, ob wir Juden seien. Ein anderes Kind gesteht, dass es Jesus nicht einmal in seinem Herzen hört. Das kann ich gut verstehen, aber nach angemessenem Schweigen meine ich, für den Anfang sei es vielleicht schon genug, dass Jesus das Kind höre. Das Kind sagt, es hätte gebetet, für ein anderes Kind, das sich in der Schule den Kopf an einem Heizungskörpe blutig geschlagen hätte und dafür, dass die Puppe, die sich das Kind zum Geburtstag wünscht, eine Prinzessin sei. Ob Jesus Puppen zum Sprechen bringen könne? Ich denke an Pinocchio und sage nicht, dass ich glaube, Jesus interessiert sich nicht für Puppen . Dann sage ich, ich hätte gehört , dass Jesus Kranke heilte und aus Wasser Wein gemacht hätte und ich wisse nicht, wie er es mit Puppen halte.
MM musste heute auf das Begräbnis von Zio Luigi, was unseren Tagesablauf durcheinander gebracht hat. Ich war dankbar, dass ich trotz eingesprungenem Doppelaxel der Babysitterin nicht auf das Begräbnis gehen konnte. Begräbnisse hierzulande sind für mich so bewegend, dass ich anschließend eine Woche Krankenstand brauche. Noch dazu war Zio Luigi wirklich eine außergewöhnliche Person, und ich möchte ihn und nicht sein Begräbnis in Erinnerung behalten. Nachdem ich bei dem Begräbnis einer Tante von MM von der Familie zu einem Weinen angeregt wurde, das meiner Meinung nach unverhältnismäßig war, habe ich beschlossen, Begräbnisse und Hochzeiten auszulassen, obwohl ich das nicht super von mir finde. Sobald ich gelernt habe, weniger als die Witwe zu schluchzen, gehe ich wieder auf Begräbnisse.
Angesichts dieses Ereignisses fragte das Kind mehrmals, ob MM dem Zio Blumen gebracht hätte. Da wir uns darauf geeinigt haben, dass Verstorbene im Himmel sind, weilt jetzt auch Zio Luigi dort, was für uns sehr angenehm ist. In Süditalien findet ein Begräbnis innerhalb von 24 Stunden nach dem Tod statt, in diesen 24 Stunden kommen dann alle Verwandten und Bekannten und halten Wache neben dem Toten. Dann gibt es eine Messe und danach wird der Tote ziemlich unspektakulär in ein kleines Häuschen geschoben, denn aus mir nicht bekannten Gründen kommen hier die Toten nicht unter die Erde, auf dass sie zu Staube zerfallen können, sondern sie tun das in ihren kleinen Kojen. Wenn meine aus dem deutschprachigen Raum stammenden Freundinnen die Friedhöfe hier sehen, denken sie an kleine Puppenstädte, die der eigentlichen Stadt vorgelagert sind.
Da wir Zio Luigi noch am Sonntag gesehen haben, als er sich beklagte, dass er nicht sterben könne, fügt sich sein Tod wie ein Resultat in diese Woche ein, dass er nicht mehr ist, ist sicherlich ein Verlust.
Und all unsere Verluste werden annulliert durch die Zeit, die alles braucht, das wir zu tun haben, in der wir keinen Verlust, keinen Mangel spüren und nur darauf hinarbeiten, zu erreichen, was wir wollten, auch wenn diese Errungenschaften banaler nicht sein könnten: ich stehe 45 Min in der Post an, um 23 Euro für den Schulbus zu zahlen (war bis jetzt gratis) und 28 Euro für den Strom in unserem neuen Haus (da waren die Maurer mit ihren Presslufthammern und ihren Zementmischmaschinen und ihren Grubenlichtern doch recht sparsam). Zwei Menschen stehen hinter mir an, als eine Klosterschwester die Post betritt und erfreut auf eine Frau zueilt, die weiter vorne in der Reihe steht. Die beiden plaudern angeregt über Katechismus und Scouts, wie in Italien die Pfadfinder genannt werden, und die Klosterschwester kommt entsprechend früher an die Reihe, weil sie ihren Posten natürlich nicht aufgibt. Kein Mensch zuckt mit der Wimper. Ich stelle mir die selbe Szene mit einem afrikanischen Arbeiter vor.
Und dennoch liebe ich heute unseren neuen Ort hemmunsglos. Alles gelingt. Ich warte zwar 45 Minuten auf die Einzahlung, aber ich kann sie machen, es stürzt nicht eine Minute vorher das gesamte Betriebssystem der italienischen Post ab. Ich gehe in den Laden gegenüber, um eine Fotokopie für den Schulbusfahrer zu machen und außer dass die Kopie schief ist, geschieht nichts Furchterregendes. Ich protestiere im Supermarkt, dass mir diePreissenkung für den Ricotta nicht angerechnet wurde und der Mann an der Kasse gibt mir 76 Cent, auch ohne mit der Wimper zu zucken und vor allem, ohne mir das Gefühl zu geben, ich sei eine notorische Querulantin. Vor der Schmiedewerkstatt steht das Fiorino-Auto unseres braven Obermaurers, der versprochen hat, dem Schmied zu erklären, wie die Eisen für die Balkone gemacht werden sollen. Das haut mich um, ersten weil wir schon bei den Eisen für die Balkone sind, und zweitens weil es einen Menschen gibt, der macht, was er zugesagt hat. Gibt es einen Nobelpreis für Zuverlässigkeit? Nein, Nobelpreise will ich seit Obama nicht mehr.
Meinem Versuch, die Tickets für die Schulmensa zu kaufen, gehen zwar drei Rundfahrten durch den Stadtkern auf Parkplatzsuche voraus, aber dann gelingt mir auch dieses Unterfangen nach kurzer Wartezeit, was ich als Meilenstein in meiner persönlichen Geschichte verbuche, denn die Öffnunsgzeiten des Schalters sind gewiss nicht berufstätigen Menschen angepasst.
In der Apotheke wird das Teebaumöl bestellt und ist (angeblich) am selben Nachmittag da, heute ist einfach alles großartig und gekrönt wird dieser perfect day von der Tatsache, dass ich bei den vielen Kilometern, die ich dem Schulweg des Kindes zuliebe zurücklege, zweimal den gehenden Mann sehe, einmal um 11:28, da ist der auf dem Weg zu Wallfahrtsort und einmal um 14:15, zurück vom Wallfahrtsort, er bleibt auf der Straße stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden. "Wie alt er aussieht!" stellt das Kind mit der Weisheit von Siebenjährigen fest. Er ist eben nicht alt, er sieht nur so aus. Warum eigentlich? Ich finde es fast infam, dass er sein Gehen unterbricht, um rauchen zu können, finde es ohnehin grauslich, dass er im Gehen raucht. Und dabei denke ich heute das erste Mal nach fast elf Jahren Nichtrauchen, dass ich wieder rauchen werde. Unser Haus wird fertig sein und ich werde den Gemüsegarten bestellt haben. Und abends, wenn das Licht weniger wird, was in unserer Lage früh ist (dafür gibt es Morgensonne, die wirklich nur von Menschen mit Schulkindern genossen werden kann), werde ich mich in die Wiese setzen und rauchen. Ich werde auf den Hafen schauen und jede Art von Sehnsucht wegblasen.

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