Donnerstag, 25. Februar 2010

Umzüge und Familienverhältnisse

MM und ich streiten um den ersten Platz im Leiden. Ich finde, ihm geht es gut, da er seinen Tag mit 7 (sieben!) Maurern und 3 Elektrikern verbringt, während ich heute zwei unterschiedlich, aber gleich stark parfümierte Herren begrüße, die einen Kostenvoranschlag für den Umzug machen. Der erste hat keine Angst vor dem Hund und sagt, seine Tochter hätte auch zwei Hunde und sie hätte gesagt, sie hätte die Hunde lieber als ihn. Ich sage: "So kann's einem gehen."Der zweite hat Angst vor dem Hund. Beide haben sie Angst vor den Büchern. Der erste ist cooler, er ruft mich nach seinem Besuch noch mal an und sagt, es sei ihm eingefallen, dass er ein Archiv mit Plastikkisten übersiedelt hätte, die könne ich schon vorher haben, um die Bücher einzuladen. Der zweite ist fassungslos: "Avete tanti libri, da paura!." Ich hätte ihm sagen sollen, dass er die Bücher nicht lesen, sondern nur transportieren soll, aber ich bin müde. "Das sind 300 Kartons voll Bücher", sagt er mit vor Entsetzen geweiteten Augen. "Das kostet allein 300 Euro für die Kartons!" Ansonsten will er noch 2300 Euro, denn der Umzug dieser Bücher würde drei Tage dauren, und das Haus sei mit einem LKW schlecht zu erreichen. Wenn ich die Bücher selber einpacke, kann ich mir 600 Euro sparen. Diese Arbeit war dem ersten 500 Euro wert, aber der hat das ganze Unterfangen nur mit 1700 Euro veranschlagt. Wenn ich die Bücher selber packe. Und immer die Schwierigkeiten mit dem Transport...Hierher kann nur ein kleiner Transporter kommen, der die Kisten dann in einen schönen großen LKW bringt. Und dabei haben sie noch nicht die Zufahrt zu unserem neuen Haus gesehen, die Straße, auf der nur ein Auto fahren kann. Da lob ich mir doch wieder unsere tapferen Maurer und den Baumateriallieferanten, die ihre LKWs dort hinschaffen und dort auch stoisch wenden. Der zweite parfümierte Herr meint, wir hätten 96 Kubikmeter Bücher, was ein Blödsinn sein muss. Wie geht das auf 110 Quadratmetern Wohnfläche? Und dass der Umzug drei Tage dauern würde, das sagen sie mir alle beide.

MM ist genervt. Von den Parfümierten, von mir, von dem, was ihm tagsüber passiert ist, was ich nicht weiß. Ich sage:"Bleib ganz ruhig, wer hat denn all die Bücher hierher geschafft?" "Du." antwortet er wahrheitsgemäß. Die eigentliche Umzugsspezialistin bin nämlich ich. Und ich werde das Ding schon schaukeln. Mit Stefano. Im Grunde genommen mit allen willigen Hilfskräften, außer mit meiner Putzfrau, die es schafft, sogar das Buch, das mir abends aus der Hand fällt, ins Regal zu ordnen, so dass ich es nie wieder finde. Besonders gern ordnet sie Bücher mit dem Rücken nach hinten ein.

Als der Parfümgeruch nur noch schwach in der Luft hängt und ich erfahre, dass des Obermaurers genialer Obersohn den Feinputz anbringt, die Glasziegeln gesetzt sind und die Elektriker einen Schlauch falsch verlegt haben, frage ich harmlos: "Und Skandale? Tratsch?" Ich weiß nämlich, dass die Testosteronbande in meiner Abwesenheit intime Details austauscht. Großartige Dinge, die mich auf eine Zukunft hoffen lassen: der junge Elektriker und der schöne Maurer Adriano leben mit einer Frau zusammen, ohne verheiratet zu sein. In Kalabrien undenkbar, zumindest denken das eben alle. Seit ich hier lebe, und das werden heuer 15 Jahre, hat es viele Hochzeiten gegeben ( zum Glück habe ich nicht an allen teilgenommen), wenig Trennungen und kein einziges "uneheliches" Kind. Ich kenne wenig Leute, die ein "Zusammenleben" fühen, aber einige, die behauptet hätten, sie würden nicht in der Kirche heiraten, und wenn dann nur als unbeteiligte Partner ihres katholischen Ehepartners (wenn sie drauf besteht...), aber keinen, der es ausgeführt hat. Sogar meine junge deutsche Freundin, die in Deutschland aus der Kirche ausgetreten ist, besucht nun den Katechismus und bereitet sich auf das waschechte kalabresische Hochzeitsevent vor, für das man sich entweder hoch verschuldet oder so lange drauf spart, dass einem eigentlich die Lust abhanden gekommen ist. Wo gibt es noch eine Messeausstellung für Bräute, wo boomen noch Bekleidungsgeschäfte "für den schönsten Tag des Lebens?". Wo sonst kann eine ganze Generation von Fotografen von der Herstellung dramatisch inszenierter Hochzeitsalben leben. Und die Friseure, die Blumenläden, die Restaurants, die für ein Hochzeitsessen für 300 Personen (kleiner Kreis) pro Kopf mehr verlangen, als wenn jeder à la carte essen würde? Die Priester, denen die kleine "bustarella" (das Kuvert mit dem Geld) zugesteckt wird. MM hat mir erzählt, dass ihm und seinen Geschwistern jeweils neue Kleider für eine Hochzeit gekauft wurden und deren gab es einige pro Jahr. Und er meint damit nicht ein neues Paar Jeans. Und die Reisebüros, die die Kreuzfahrten als Hochzeitsreise verkaufen? Die könnten zusperren, wenn die Kalabresen alle dem Beispiel unserer beiden Handwerker folgen würden. Wissen die eigentlich, wie sehr sie der hiesigen Wirtschaft schaden?
Die meisten meiner verheirateten Freunde haben irgendwann die Augen gerollt, wenn man das Thema Hochzeit erwähnte und dann haben sie sich alle eine Kirche oder gleich den Dom ausgesucht. Den Eltern zuliebe. Meiner deutschen Freundin scheint man gar eingeredet zu haben, dass es eine standesamtliche Ehe in Italien nicht gibt.
Und natürlich gibt es kein Zusammenleben vor der Ehe. Die Wohnung muss neu und tipptopp sein und bitte nicht gemietet, sondern Eigentum. Vor der Eheschließung haben Mutter und Schwiegermutter viel zu tun, denn sie müssen das Schlafzimmer herrichten, das Bett überziehen und Blumen drauf streuen etc. Aber das Leintuch wird meines Wissens nicht nach der ersten Nacht auf jungfräuliche Blutspuren untersucht.
Unsere Nachbarn in dem Ort, in dem wir noch wohnen, haben kürzlich eine Tochter verheiratet. Die Tochter ist Architektin, der Mann ist auch Architekt. Die haben eine echte Grenzüberschreitung gemacht, denn während sie auf der Kreuzfahrt waren, wurde erst die Wohnung in der Stadt fertig gestellt! Und für dieses Event haben sie sich jahrelang zurückgehalten und/oder im Auto miteinander geschlafen. Und jetzt kommt die berühmte Zahnpastatube. Was für eine Einsamkeit.

Bei diesen coming outs macht sich MM wichtig und sagt, er hätte auch vor seiner Heirat "zusammengelebt". "Aber mit der Signora?!" fragt der Obermaurer ängstlich. Sodom und Gomorrha in Reichweite. Gratulation den Damen dieser coolen, unkonventionellen Jungs und umgekehrt.

Und dann gibt es den sprichwörtlichen "Mammone", der aus dem Film "Tinguy", der einfach den elterlichen Haushalt nicht verlassen will. Eigentlich ist er unverlobt (schon der Ausdruck für "eine Freundin haben" spricht Bände), aber selbst wenn er eine Freundin hätte - wie soll er es denn schaffen, ein eigenes Haus auf die Beine zu stellen, die sündteure Hochzeit und anschließend seine Stromrechnungen zu bezahlen?

Ich weiß wenig über das Begehren in den süditalienischen Haushalten. Ich habe eine Freundin, die Mutter eines Schulfreundes meiner Kinder, die "getrennt" lebt. Sie hat mit einem ebenfalls getrennten Mann zusammengelebt, was aber nicht gut funktionierte. Jetzt treffen sie sich mittels chat. Früher habe ich manchmal eine Frau neben einem Mann im Auto gesehen, die Frau hatte eine Zeitung vor dem Gesicht. Mir fiel das nur auf, weil ich immer dachte, mir würde schlecht werden, wenn ich beim Autofahren Zeitung läse. (Und noch dazu die Sportzeitung). Irgendwann wurde mir klar, dass es sich um Tarnung handelt, Ehebruch also, sehr spannend.
Meine Freundin steht immer noch auf den Ex. Wenn sie mehr lesen würde, würde sie weniger leiden, denke ich. Aber dann hätte sie viele Bücher und könnte nicht übersiedeln.

Das Ziel der Mütter ist es, die Söhne unter die Haube zu bringen. In der Schultasche meines achtjährigen Sohns finde ich Zettel, auf denen steht: "Giorgia, Miriam und Luigia, ihr seid wunderschön. Ich liebe euch." Glaubt er, dass das gutgehen kann? Wahrscheinlich nicht, sonst hätte er den Zettel abgegeben. Der zwölfjährige Sohn organisiert zu meiner allergrößten Überraschung einen Wettbewerb in seiner Klasse für das hübscheste Mädchen. Und morgen findet im Ausgleich der Wettbewerb für den hübschesten Jungen statt. Also morgen früh aufstehen und Gel ins Haar schmieren. Nur der Zehnjährige bleibt seinen Prinzipien treu und brummt: "Ich will kein Verlobte. Ich werde schnelle Autos fahren und früh sterben." Amore di Mamma.

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