Sonntag, 11. April 2010

Desperate Working Mum

La Dattilografa hasst ihre Arbeit über alle Maßen. Der einzige Trost ist, dass auch andere Mitarbeiter ihre Arbeit hassen und nicht mit ihr zurecht kommen. Ich bin erstaunt, es ist also nicht alles mein privates Problem. Wahrscheinlich ist überhaupt nichts mein privates Problem, sonst würde ich nicht ohne Unterschied jeden Tag, sobald ich die Straße betrete, betrunkene oder unter Drogen stehende Leute sehen. Bewege ich mich grundsätzlich in den falschen Vierteln?

Die dattilografische Wohnung hat sich binnen kürzester Zeit zu dem entwickelt, was die dattilografische Mutter mit bebender Stimme als "richtigen Junggesellenhaushalt" bezeichnen würde. Wenn die dattilografischen Kinder so eine Unordnung machen würden, würde ihr Mutter zu einem lange anhaltenden Schrei ansetzen. Hier ist mein Hormonhaushalt von Testosteron infiziert. Wahrscheinlich, weil ich nur ertrage, meine armen Kinder ohne mich zu wissen, indem ich mir vorstelle ich bin ihr Vater. Da würde keine Lehrerin sagen: "Das merkt man schon, dass die Mamma nicht da ist." Da würde keine andere Mutter trocken schluckend sagen: "Mutig, wie machst du das?" Da hätte niemand den Mut, mich mit dem Blick: "Na ja, wenn sie glaubt" anzuschauen, wenn ich sage: "Die Kinder sind bei ihrem Vater." Ja, sie sind mit ihrem Vater, ja, zwei Monate lang. Ja, mein Mann kann das. Ja, ich bin auf einer Bohrinsel.

Leider ist es nicht so, dass ich monatelang nach Gold grabe und wir dann reich und glücklich sein werden. Zumindest nicht reich, das mit dem Glück ist ja nie ausgeschlossen. MMs Großvater war 23 Jahre lang allein in Argentinien und hat es dennoch geschafft, mit einem Zwischenaufenthalt vier Kinder in Italien zu zeugen.

Zwei Tage ist es mir nicht gelungen, mit meinen Kindern zu telefonieren, obwohl ich es mir fest vorgenommen habe. Diese Telefonate sind auch nicht unanstrengend. Im Moment scheint es sich ein wenig eingespielt zu haben, dass der Jüngste singt und Küsse schickt, der Rallyfahrer wie immer konkret ist und mir mehrere Dinge mitteilt, die Papa "entschieden hätte" und die ihm nicht so recht sind und sich der Älteste anhört, wie Scheiße meine Arbeit und wie kalt es in der Stadt ist.

Auch MM wiederholt sich: der Obermaurer hätte gesagt, er sei Ende des Monats fertig und dabei sei er eigentlich ohnehin schon fertig und die Badezimmer seien verfliest und in der Küche sei der Estrich gemacht und irgendwas ist noch nicht getrocknet, da bin ich beim Telefonieren abgedriftet, aber der Verdacht besteht, dass der Obermaurer doch noch einen Extraauftrag wolle, weshalb er bis Ende des Monats zu arbeiten gedenke.

Ansonsten scheint alles gut zu gehen und extrem anstrengend zu sein, so dass meine vier Männer den Sonntag zu Hause verbringen werden, da offenbar alle nur darauf warten, endlich schlafen zu können. Die Schlafengehzeiten mit Papa sind sicher andere als meine teutonischen. Auch die working mum ahnt schon, was der Sonntag bringen wird: heute stelle ich mir noch vor, ich gehe ins Kino und morgen wird um zehn Uhr in der Früh das Telefon läuten und dann werde ich um sechs Uhr abends noch immer im Pyjama am Computer sitzen und arbeiten.

Während ihrer verzweifelten Fahrten zur ungeliebten Arbeit entwickelt La Dattilografa Alternativen zum Gelderwerb. Ein zehnminütiger Besuch in einer großen Buchhandlung inspiriert sie dabei:

a) La Dattilografa schreibt einen Lebensratgeber (viele Kunden in diesem Stockwerk). Sie schreibt: Machen Sie sich selbst glücklich, indem Sie erst etwas verlegen, und es dann wieder finden. Besonders groß ist der Glückszustand, wenn es sich um Bankomatkarten oder PIN-Codes handelt.

b) La Dattilografa schreibt ein Kochbuch (viele Kunden in diesem Stockwerk). Sie schreibt: Kochen Sie, kochen Sie, kochen Sie. Kochen Sie Gemüse. Kochen Sie wie meine Schwiegermutter. Kochen Sie Gemüse. Kochen Sie, als ginge es um Ihr Leben. Kochen Sie, wie Sie selbst sein wollen: nachhaltig, authentisch und mit Geschmack.

c) La Dattilografa schreibt einen pornografischen Roman (sicher viele Kunden, in welchem Stockwerk eigentlich?). Sie schreibt: Es war Mitternacht und er wollte eben zu Bett gehen, als sein Blick auf ein hell erleuchtetes Fenster im Haus gegenüber fiel. Die Frau, die er schon mehrmals im Tabakladen gesehen hatte, stützte sich mit einer Hand am Fensterrahmen ab. Ihr langes dunkles Haar fiel ihr halb über das Gesicht. (usw.usw. Sie putzt nicht die Fenster!)

Das alles könnte ich im rosa Zimmer tun und bräuchte nicht so lange zu fahren. Ich bräuchte mir nicht vorstellen, ich sei ein Mann, ich könnte die Kinder zu Mittag von der Schule abholen.

Donnerstag, 8. April 2010

you are only coming through in waves

La Dattilografa hasst ihre Arbeit über alle Maßen und schaut sich zum Trost Pink Floyd, wie sie heute sind, auf you tube an. When I was a child I had a fever. Die Kinder fallen mir ein, die gefragt haben, woher eigentlich die Tränen kommen. Eigentlich hätte ich sagen müssen:Jungs, darüber kann ich euch ein Ganzjahresseminar halten. Aber wir stehen vor dem Haus und wollen rein, die Schule ist vorbei und alle müssen aufs Klo und ich suche den Schlüssel und sage nur: die sind immer da und warten darauf, dass sie raus können.

So wie die alten Jungs von Pink Floyd treffe ich dauernd wen, der jetzt viele Jahre älter ist als damals. Weil ich weggegangen bin, bevors ans Eingemachte ging, bin ich mit niemandem von hier alt geworden. Das führt dazu, dass ich dauernd jemanden zu sehen glaube, der einen jugendlichen Doppelgänger hat. Das geht mir auch in Italien so. Ich glaube dort immer jemanden zu sehen, den ich von hier kenne. E viceversa. Gestern habe ich einen für mein Leben entscheidenden Menschen nach 15 Jahren wieder gesehen und er war wie damals. Nur andere Zähne hat er heute. Ich möchte meinen Kopf unter dem Polster vergraben, wo sind denn unsere Zähne hin??? Ich habe alle meine Zähne bis auf den einen, der mir mit 16 gerissen wurde und den anderen halben, der jetzt in Kalabrien im Mist liegt. (Und ich habe mich heldinnenhaft dagegen gewehrt, den reißen zu lassen, das, was man in der Dentalsprache unter Brücke versteht, soll warten.)

Und noch dazu habe ich ein geradezu perverses Faible für unregelmäßige Zähne oder Gebisse mit dem gewissen Etwas (die Zahnlücke im Gebiss meines Mitschülers in der Mittelschule, die mich gegen jede Vernunft schwach machte und dazu führte, dass wir uns am Maturafest endlich und ein einziges Mal küssten), Männer mit Zahnschmerzen, Männer mit ausgeschlagenen Zähnen, Männer mit vom Rauchen verfärbten Zähnen, alles, nur keine schlechten falschen Zähne...
Der Zahnarzt in Italien sagt, die Kinder brauchen "un apparecchio", eine Zahnregulierung, mein Zahnarzt hier sagt, wenn sie nicht Agnelli geheiratet haben, brauchen die Pamperletsch gar nix. Nein, MM heißt nicht Agnelli und die Kinder müssen sich mit der Ultraschallzahnbürste die Zähne putzen und bitte quattro giri non solo due, per non finire come Mamma sempre dal dentista...

How I wish....


I think I can tell heaven from hell, blue sky from pain, und das einzig interessante ist, dass sich ein Prinzip bestätigt, das irgendwie von Lacan beschrieben wird und einen Namen hat, den nur MM weiß, nämlich dass wenn man etwas preis gibt, muss der andere auch was sagen. Ich fahre mit einem Menschen, den ich heute zum ersten Mal in meinem Leben sehe durch meine Stadt (meine ehemalige, meine ehemalige Heimatstadt)und wir fahren an einer Self Storage Lagerhalle vorbei und ich sage, ich finde das interessant, dass die Menschen so viel Klumpert haben, dass sie es jetzt auch auswärts lagern müssen. Er sagt, er hätte schon seit vier Jahren keine Wohnung und hätte auch seine Sachen in einem Lagerraum von 60 qm in Köln. "Wow", versuche ich die Kurve zu kratzen, mit 60 qm bist da du aber bescheiden." Naja, seine Möbel hätte er anderswo aufgeteilt. Er könne sich einfach nicht entscheiden wo er eine Wohnung haben wolle. In München, Berlin, Hamburg oder Köln. Ich sage: aber wo fühlst du dich zu Hause, ich meine wo ist dein Herz? Er kann eine Antwort geben und die hat was mit seiner Jugend zu tun. (O Gesu Maria e tutti i santi!!)Can you show me where it hurts?

Am Ende dieser großen Sentimentalität bringt mich etwas zu herzhaftem Lachen: Kate Bush singt Wuthering heights (red dress version). Oh Heathcliff!

Dienstag, 6. April 2010

Von Tunesien nach Mitteleuropa

MM, der nicht gut auf den Obermaurer zu sprechen ist, hat doch eine geheime Freude: unser Haus ist weiß geworden. Das ist aber nur der Feinverputz, keine Farbe. Auf diese Tatsache weist er mich mehrmals täglich hin, bis ich es endlich selbst sehe und mir der Mund offen stehen bleibt: sieht aus wie in Tunesien - weißes Haus im Sonnenschein, Flachdach, Palme davor, weht im Wind. Das einzig störende ist der unrenovierte Teil davor, eine lähmende Ziegelwand. Die muss weg! Obwohl wir dem Obermaurer keinen Centesimo mehr gönnen, messen wir sofort die Wand aus und rechnen. Das werden wir uns leisten!

Immerhin kehre ich übergangsweise in meine alte Heimat zurück, um zu arbeiten. In Italien frage ich mich regelmäßig, wieso ich von hier weggegangen bin und weiß nie eine Antwort. Sobald ich aus dem Zug steige und in ein Taxi ist mir alles klar. Ein Grund ist die Sprache, kann man das Radio bitte ausmachen? Eine Stunde geht alles gut, das ist die, in der ich zu Hause bin und dusche. Dann begebe ich mich wieder in öffentliche Verkehrmittel. Ich denke an New York, wo ich vor vielen Jahren war und feststellen musste, dass überdurchschnittlich viele Menschen mit sich selbst sprechen. Aber das war, nachdem die psychiatrischen Anstalten geschlossen wurden. Und New York ist New York.

Nach meiner Arbeit stürze ich wieder auf eine Straße, in der mehr als 70 % der Passanten betrunken sind oder unter Drogen stehen oder es bis vor kurzem taten. Ich gehe in einen Supermarkt und suche eine Flasche Rotwein mit mehr als 13 Prozent. Im Autobus setze ich mich neben einen unglaublich dicken Mann. Er sieht mich erstaunt von der Seite an und murmelt etwas unverständliches. Habe ich mich unabsichtlich auf seine dicken Schenkel gesetzt? Ist er überrascht, dass es jemand wagt, sich neben ihn zu quetschen? Mein Gepäck ist so schwer, dass ich nicht im Traum daran denke, meinen halben Sitzplatz wieder herzugeben. Während der Fahrt murmelt der Mann mehrmals: "Oh mein Gott, mein Gott!" Mir ist er sympathisch, da er keinerlei Alkoholgeruch von sich gibt. Er riecht nach Bosna, das war vor vielen Jahren eine lange Wurst in einem Hotdogbrot, mit Zwiebeln und Senf bereichert. Ob es das noch gibt? Als er aussteigen will, sagt er: "Entschuldigung!" Er kennt dieses Wort! Er versöhnt mich mit der Welt. In seiner Hosentasche steckt eine kleine Flasche Apfelsaft.

Ich denke an die Süditaliener, die mir meistens auf die Nerven gehen, an die orientierungslosen, aufgeregten Studenten, an die beiden etwa zwanzigjährigen Jungs, die gestern im Zug ihre Fingerknöchel krachen ließen und alle halben Stunden ins Mobiltelefon hauchten: "Ma(mma)? Tutto apposto, ich bin kurz vor Salerno, kurz vor Napoli, kurz vor Aversa, kurz vor Roma, jetzt in Roma, jetzt steig ich aus." Sie alle werden gerettet, wenn sie gerettet werden, durch eine Mamma oder eine Nonna, die zu Ostern Pastiera macht, die ihre Familie zu Ostern durchschnittlich drei Stunden beim Essen hält, wie ich eine Statistik entnehme, die ihnen dorthin, wo sie studieren oder arbeiten, nachfährt mit einer Schachtel voller Würste und Sugo und einer Kühltasche mit dem frischgeschlachteten Pollo und dem Sedano und den Eiern von den Galline. Durch das Fernsehen soll uns der letzte Funken Verstand geraubt werden und mir ist klar, dass nicht viele Fernsehabstinenzler sein können, wie ich. Aber gegen den Grande Fratello gibt es die Bastion der Mütter und Großmütter, die dem Nachwuchs mit frittierten Ciambelle und notfalls einfach mit Nutellabroten nachläuft und das geben, was beim "big brother" la casa ist, ein zu Hause.

Dieses zu Hause, das in den großen Städten zu klein, zu unwirtlich, zu wenig aufregend ist, das die Jungen auf die Straßen treibt, das die arbeitenden Menschen nicht mehr zum Essen beherbergt und die öffentlichen Verkehrsmittel zu unseren Tischen und Arbeitsplätzen werden lässt. Heute morgen vermittelte eine junge Frau im Autobus neben mir erst (fast) eine Wohnung mit zwei Zimmern und zwei Kabinetten und aß anschließend ein Schinkensandwich einer bekannten Fleischerkette. Eine andere Frau erzählte am Mobiltelefon, dass sie keine Probleme mit ihrem Stuhlgang hätte. Dabei lachte sie. Und schwankte in den gefährlichen Kurven. Bis sie sich am Haltegriff festklammern konnte.

Zwei Sätze fallen mir ein, der erste ist von Thomas Bernhard:
"Am wohlsten fühle ich mich in den Zügen, in den Fahrten zwischen den Ländern. Bin
ich in einem Land angekommen, möchte ich es eigentlich sofort wieder verlassen.
Überall das gleiche, Heuchelei, Perfidität und Stumpfsinn."
Der zweite: "Home is where my heart is". Mein Herz ist aber sicherlich in keinem öffentlichen Autobus. Nein.

Mittwoch, 31. März 2010

La dattilografa goes Freud

Eben ist es mir gelungen, den Gedanken an den Freund aus Jugendtagen zu verscheuchen und rechtzeitig schlafen zu gehen, da mischt er sich in meine Träume: ich befinde mich in einem unterirdischen Waffenarsenal, das an Eleganz kaum zu überbieten ist. Alles ist in schwarz gehalten, auf Podesten glänzen die Schusswaffen silbern. Mein Freund kommt aus dem Inneren dieser Räumlichkeiten und redet mit dem Mann, der mir die Waffe aushändigen soll. Ich bin mir nicht sicher, ob ich eine Pistole oder ein Gewehr (damenhaft klein) bekomme. Ich müsse keine Mehrwertsteuer bezahlen und bekäme auch sonst noch ein Skonto, sagt mein Freund zu dem Mann. Ich stehe aufgeregt im Hintergrund und frage mich, was so eine Waffe eigentlich kostet und ob ich genug Geld dabei habe.
Schnitt.
Der Freund und ich gehen eine Straße in der Stadt entlang, in der wir beide nicht mehr leben. In dieser Straße waren wir nie, aber ich erinnere mich an sie. Er legt den Arm um meine Schultern, ich den Arm um seine Hüften. Wir reden darüber, dass wir neun Tage Zeit hätten und ob ich sonst auch noch was zu tun hätte. Ich sage nein (was für ein Traum: ich habe nichts zu tun??!!), aber ich könne Freunde anrufen, die seien immer sehr spontan und froh, mich zu treffen (man sieht, ich will ihm nicht auf den Wecker gehen). Wir gehen in eine Buchhandlung und suchen die Bücher, die uns die Lösung geben werden. Ich schiebe meine Hände unter seinen Pullover (hat er im wirklichen Leben sicher nie getragen), ich spüre seine Haut und lege meinen Kopf an seine Brust. Wir sehen, dass die Buchhändler alle nackt sind und er sagt, lass uns gehen.
Da läutet der Wecker, den ich nicht und nicht finden kann, es ist wie immer 5.30 und ich brauche eine halbe Stunde, um zu verarbeiten, dass ich im Traum Schusswaffen erstehe, den zweiten Teil des Traum finde ich nicht so skandalös. Warum die Buchhändler nackt sind und nicht wir, wer weiß?
Was bedeuten die kleinen Gewehre? Phallussymbole? Will ich jemanden erschießen? Ist das eine Nachwirkung des Films "The Hurt Locker"? Oder der Regionalwahlen? Ist es, weil der Rallyfahrer sich gestern ein Männchen mit Pistole gewünscht hat (eine Pistole traut er sich nicht zu wünschen, er weiß, dass er keine kriegt).

Erstaunlicherweise folgt ein ausgezeichneter Tag, am späten Nachmittag muss ich mich kurz aufs Sofa legen, von dort aus sage ich zu meinem großen Sohn, der immer eine Antwort weiß: ich habe geträumt, ich habe eine Pistole gekauft, was hat das zu bedeuten? Er zuckt die Achseln: warum träumst du nicht, du kaufst eine Playstation für uns?

Nach dem Abendessen versuche ich es bei MM: mein ehemaliger Freund hat mir im Traum zu einer Schusswaffe verholfen, was würde deine Mutter dazu sagen? MM sagt: Worte. Achja, im Italienischen schießt man ja auch Bemerkungen (ab).

Auf der Baustelle war heute der kleine Bagger, der die hübschen roten Schläuche unter die Erde gehoben hat. MM hat einen Sonnenbrand und das Kind hustet den ganzen Abend, weil es den Maurern die Fliesen gereicht hat und diese Fliesen auseinandergeschnitten werden, was viel Staub macht. Der Obermaurer und MM hatten beim Mediator Architekt eine Aussprache, die zu einer geringen Reduzierung der Kosten geführt hat und dazu, dass wahrscheinlich jeder der beiden glaubt, sein Gegenüber sei wahnsinnig. Ich, die ich nicht dabei war, weiß, dass sie es beide sind. Natürlich ist mir der Wahnsinn von MM lieber, weil er meinem eigenen näher ist.
Weitergehen tut es wie bisher. Ostern kommen und die Maurer sind noch immer nicht fertig.

Der Wahnsinn ist aber nicht nur auf unserer Baustelle unterwegs, im Gegenteil. Berlusconi ist wie immer jenseits von gut und böse und der Postbeamte in unserem kleinen Ort gibt mir die eingeschriebene Post nicht, weil ich sie zwar am 31.3. abholen kann, aber erst ab 13.20. "Was steht da?" sagt er zu mir, und hält den Zettel hoch. Ich sage: "Sagen Sie es mir, oder muss ich hier ein Examen ablegen?" 13 Uhr 20. Selten so gelacht. 13 Uhr 20 in Italien. In Süditalien. Lustiger gehts ja gar nicht. Ich würde gerne in sein Gesicht schlagen, aber er hat eine schusssichere Scheibe davor. Da würde mir auch die Pistole nicht helfen.

Samstag, 27. März 2010

eigentlich alles gar nicht so schlimm

Die Wahl-Ferien der Kinder haben auch Vorteile. Mamma dattilografa schläft morgens lange, auch wenn das Kind, das an Schlultagen morgens nie aus dem Bett kommt, beleidigt und orientierungslos auf dem Bettrand sitzt und behauptet, schlafen mache keinen Spaß. Ich bin unnachgiebig und das Kind in seiner Verzweiflung setzt sich an den Tisch: Dann lerne ich eben, droht es. Es geht um englisch, passt eh.

Auch die Schulschürzen müssen nicht panisch gewaschen werden. Müsste ich nicht selbst bald abreisen, wäre ich vielleicht sogar entspannt. So entspannt, wie ich heute den Bruchteil einer Sekunde auf unserer Baustelle war. Samstags und kein Maurer da. MM tratscht mit den Nachbarn, das ekstatische Gebrüll der Kinder, mit dem sie sofort beginnen, sobald sie in the middle of nowhere aus dem Auto springen, verschwindet, das heißt, die Nachbarkinder haben zum Spiel mit der Playstation eingeladen. Endlich kann ich in Ruhe durchs Haus gehen und mir anschauen, was die so machen um viel Geld.
Es ist schön. Die Wände auch, in Wirklichkeit ist auch der Preis dafür nicht aberwitzig, wir haben einfach weniger erwartet. Oben ist der Estrich aufgetragen, unten steigt man noch über Schläuche, ich stelle mich an den äußersten Rand der Terrasse und genieße den Blick auf den kleinen Hafen. Nebelschwaden verstecken die Berge. Ich schaue auf den Grund des alten Nachbarn, den er MM zum Verkauf angeboten hat. Zu teuer natürlich, aber ich will ihn haben, es ist, als ob er zu unserem Haus gehörte. Ich kenne eine Frau, die im Lotto gewonnen hat, wieso soll mir das nicht auch passieren? Ich höre den Fluss unten rauschen. Ich will hier endlich wohnen.

Einmal, als der Obermaurer noch nicht unser Feind war, sagte er: es stimmt, dass es uns nicht gut geht, wir haben uns nur daran gewöhnt, dass es uns schlecht geht. Ich denke oft an diesen Satz und ich denke, dass wir leider auch unfähig sind, zu erkennen, wenn wir glücklich sind. Oder es nicht haben wollen. Dieses Glück. Ich zum Beispiel bin immer glücklich, wenn ich die Kakaoschalen der Kinder aus dem Geschirrspüler hole. Ich will dieses Glück nicht, aber es passiert aufdringlich und regelmäßig. Ich frage mich auch, ob dieses Gefühl in Herzgegend, das so ist, als würde Sirup in einen Trichter laufen, Liebe ist oder Glück.

Freitag, 26. März 2010

una sola parola: ahime

Zwei Tage hat mich einiges bedrückt. Ich dachte schon, ich muss hundert Fragen stellen. Aber das wäre eine ziemlich Arbeit gewesen: Wer? Was? Wie? Hä? Warum? In echt? usw. usw. Einmal werde ich das machen, aber nicht jetzt. Heute ist wieder Land in Sicht.
Das Kind im Auto auf der Fahrt zur Schule räuspert sich: "Glaubst du, sehen meine Schulkollegen morgens Zeichentrickfilme, bevor sie zur Schule gehen, ja oder nein?" "Nein!" lüge ich unerschrocken. "Doch!" schreit das Kind triumphierend. Aus meiner Brust will jetzt eigentlich der Wortschwall heraus, eine Art Wahlkampfrede gegen das Fernsehen, aber meine Stimme sagt nur belustigt: "Na sowas!" Ich muss eingepuppt sein, vielleicht werde ich ein Schmetterling (ein blauer, wie der aus Alice in Wonderland)
Der Rallyefahrer hat einen Film mit Bruce Lee gesehen und ist danach wie betrunken aufgekratzt, kommt nackt mit seiner Pyjamahose giggelnd aus dem Kinderzimmer und sagt, ich muss das Etikett aus der Hose schneiden. Ich muss immer alle Waschanleitungen aus den Hosen, Leiberln, Hemden schneiden. Ich sage: "Bring die Schere", das macht er aber in seinen Bruce Leeschen Allmachtsgefühlen nicht, sondern schneidet selbst ein Loch in die Hose, die er vor zwei Tagen als Ostergeschenk von einer Freundin bekommen hat. Ich habe mich noch nicht mal bedankt.
Dann muss er schlafen gehen, während seine Brüder noch drei Lieder vom Sanremo-Festival hören und sehen können. Manchmal findet MM etwas pädagogisch wertvoll, was im Fernsehen ist und nimmt es auf. Daher kennen unsere Kinder alle Lieder, die täglich mehrmals aus dem Radio dröhnen, auswendig. Zum Glück singen sie besser als ich. ("Sono un re matto, cambio spesso regole" - ich mache den verrückten König zu einem "re mattone" zu einem Ziegelkönig, was die Kinder sehr erheitert)

Auf unserer Baustelle ist die Treppe verfliest, wie mir mitgeteilt wird. Und es ist passiert, was vorauszusehen war: die Abrechnung des Obermaurers ist zu hoch ausgefallen und zwar, was die Instandsetzung der Mauern betrifft. MM schaut mich an, als ob es ausschließlich meiner Ekstase zu verdanken wäre, dass die Summe das doppelte ausmacht, als gedacht. Deshalb rächt er sich: er erzählt dem Obermaurer, er riskiere die Scheidung, weil seine Frau finde, er sei unfähig, die Arbeiten zu kontrollieren und wie sowas passieren kann. Ich sage: alle Achtung, das nenn ich aber wirklich Pirandello. Am Montag wird es eine Aussprache beim Architekten geben und dazwischen ist Eiszeit.
Und dann wird etwas überbleiben, was ich schon lange befürchtet habe: unser Haus wird keine Farbe bekommen. Zumindest nicht jetzt. Und wir reihen uns in das Gesamtbild der kalabresischen Häuser ein, immerhin ist unser Haus verputzt, viele Häuser sind nicht mal das. Die haben aber innen meistens goldene Türschnallen, das werden wir nicht haben, wenn wir überhaupt Türschnallen haben werden. Ich habe mich damit abgefunden, es ist mir eigentlich sogar egal. Ich werde doch ohnehin ein blauer Schmetterling und ich bin es jetzt so gewohnt, auf einer Baustelle zu agieren, dass ich gar nicht möchte, dass das Haus wirklich fix und fertig wird.

Heute war die Arbeit nicht mehr so schlimm. Ich werde bald für die nächste Arbeit weg fahren und ich möchte mich mit Händen und Füßen an einen Türstock klammern, um nicht weg zu müssen. Blöderweise haben wir im neuen Haus noch keine richtigen Türstöcke.

Ich habe Rilkegedichte vertont gehört und ich denke nun, dass es unter allen Worten nur eines gibt, das wirklich wichtig ist, und das ist: "Ach". Das gibt es auch auf italienisch, da heißt es: ahime, gesprochen ajme. Niemand sagt es je, außer intellektuelle Radiosprecher in ausgesuchten Texten. In der gesprochenen Sprache sagt man eher "minchia", was so viel wie "cazzo" heißt, was wiederum soviel wie Schwanz heißt, womit das männliche Geschlechtsorgan gemeint ist. Angeblich ist es nicht einmal besonders anstößig, weil es wie ein hmhm dauernd verwendet wird. Zumindest in Sizilien. Der Ökonomie halber sagt man einfach:"Miii", wenn einem etwas auf die Nerven geht oder: "ma che miii dici?", was redest du da für einen Scheiß?

ach ach ach ach ach ach ach schreibt La dattilografa mit ihren Möchtegern-Stenotypistinnenhänden. Hoffentlich geht alles gut. Auch bei den Wahlen am Sonntag.

Donnerstag, 25. März 2010

senza parole

Bars (und ich meine die italienischen, in denen man Kaffee trinkt, nicht die Bars mit dem Whiskey und den Cocktails) werden von mir in erster Linie nach dem Kriterium des Häusls bewertet. Immer schon, aber seit wir kein Klo in unserem neuen Haus haben, mit besonderer Sorgfalt. Normalerweise setze ich das Kind in der Schule ab und begebe mich direkt auf den Hauptplatz der Marina, in die Bar, die den Namen San Marco trägt. Und zwar nicht an Anlehnung an Venedig, wie ich erst dachte, sondern weil auch in unserem relativ unbedeutenden Ort der Hauptplatz San Marco heißt. Dort esse ich una treccia crema amarena und wundere mich, wer aller um acht Uhr morgens schon Geld in Spielautomaten wirft. Ich glotze die Fernsehnachrichten vom Canale cinque und lese manchmal eine interessante Seite in einer gar nicht so schlechten regionalen Zeitung. Der junge Mann stellt mir ungefragt Wasser und Kaffee hin, wenn ich die Brösel des süßen Zeugs abwische. Zum Abschluss gehe ich in ein nach Chlor riechendes Klo. Ich habe Schlimmeres gesehen.
Neuerdings treibt es mich allerdings in den eigentlichen Ort auf dem Hügel, und zwar deshalb, weil dort ein kleiner Supermarkt den Prosecco, den die Konsumentenvereinigung, der ich angehöre (und mit deren Rechtsanwalt ich wegen der Telecom ab und zu telefoniere), zum Besten erkoren hat - und wir enthusiastisch mit -, im Sonderangebot verkauft und ich täglich zwei Flaschen erstehe. Dabei geht es gar nicht so sehr darum, dass es ihn billiger gibt, sondern, dass es ihn überhaupt gibt.
Eigentlich dachte ich, ich würde Vorräte für unsere Housewarming Party anlegen, aber an gewissen Tagen frage ich MM, ob er auch findet, man müsse jetzt ein Flasche Prosecco öffnen, und daher muss ich immer wieder in den kleinen Supermarkt gehen. Die erste Bar am Corso hat ein annehmbares Klo und außer, dass der Kellner morgens so aussieht, als hätte er noch viel mehr Prosecco getrunken als ich, ist mir nichts nennenswertes aufgefallen - bis heute. Als ich meine 1,60 Euro bezahle, nehme ich im Hintergrund eine Weinflasche mit dem Schriftzug Mussolini wahr. Aha. Und plötzlich sehe ich noch viel mehr. Der Duce grüßt auf einer Postkarte. Nächste Postkarte: Viva il duce. Dritte Postkarte: blablabla, kann ich nicht lesen, ist zu klein gedruckt, groß gedruckt: La destra und irgendwas zum Thema Europa. Angewidert gehe ich an die Frischluft. Ich habe Lust, den nächsten Passanten anzusprechen: Grüß Gott, können sie mir bitte sagen, wo die Bar des PCI ist? Gleichzeitig bin ich froh, dass im allgemeinen Gewäsch sich der Feind wenigstens deutlich zeigt. Da ich gestern 70 Studienbeginner auf einem Haufen vor mir hatte, von denen einer nach dem "Fiurrer" rief und ich abschließend feststellen musste, dass die heutigen 20-jährigen einfach unkontrolliert sind und glauben, dass sie sich dauernd in einer talkshow statt in ihrem eigenen Leben befinden (Ausnahmen gibt es natürlich auch!), finde ich es eigentlich ok, dass der unglückliche Mann in der Bar sich als Faschist outet und mir die Möglichkeit gibt, seinen Laden auch nicht mit 1,60 € zu fördern.
Ich erinnere mich daran, dass einer unserer jungen Maurer auch bei den Regionalwahlen kandidiert. Ein Kollege hat ihn gefragt, ob er eigentlich rechts oder links sei (offenbar haben ihm die diversen Bürgerlisten den Blick verstellt), worauf der junge Mann etwas antwortete, das ich mit "Geh bitte, das ist doch schon alles längst überholt!" übersetzen würde. Er fährt, nebenbei bemerkt, einen Audi und ist etwa 22.
Als nächstes fällt mir ein, dass ein Freund von MM, der Filmgeschichte an der Uni unterrichtet, erzählte, ein Prüfling hätte auf die Frage nach einem Film von Ettore Scola nicht antworten können, welche Männer es genau gewesen wären,die sich da in den Bergen versteckt hätten. Auf den Hinweis, das seien Partisanen, hätte er geschnauft: "Professor, bitte, ich beschäftige mich nicht mit Politik."