Montag, 15. August 2011

Heimweh

Angesichts eines Tabakladens in Triest überkam mich einst das vibrierende Gefühl, in Italien leben zu wollen. Ein fahrender Gemüsehändler in Palermo brachte mein Herz zum Höherschlagen und ein ähnlich mobiles kleines Gemüsegeschäft in Reggio Calabria gab mir Gewissheit: Hier will ich bleiben.

Jenseits von Gut und Böse.

Andere Menschen treffen rationale Entscheidungen und sind dankbar über einen sicheren Job.

Ich habe jetzt eine Woche lang Loblieder auf die Meriten der großen Stadt gesungen und könnte das eigentlich auch noch weiterhin tun, aber ich habe Heimweh bekommen. Und komischerweise nicht (nur) nach dem wunderbaren abwesenden MM, sondern danach, in Kalabrien an der Haltestelle des Autobusses zu stehen, das Licht ist grell, der Autobus ist zu spät, die Autos fahren schnell vorbei, auf dem Hügel steht eine Kirche und ein Kloster, daneben eine große Kiefer. Die anderen Leute, die warten, reden so schnell, als ginge es um ihr Leben. Junge Frauen reden über künstliche Nägel, Frauen mittleren Alters belehren jüngere Männer über die Praktiken des Schulsystems und Jugendliche machen ihre anzüglichen Konversationen. Es ist staubig und im Wartehäuschen steht seit Monaten: "Ich will wieder deine Hände auf mir spüren, sag, dass es wieder so sein wird!"

Bei all den wunderbaren Kinderbetreuungseinrichtungen und der perfekten Mülltrennung hier und vor allem dem einwandfreien Trinkwasser überall erlaube ich mir jetzt Sehnsucht nach dem Unanständigen, dem absolut Veränderungs- und Verbesserungswürdigen, dem Ärgerlichen und dem gleichzeitig so Vitalen, dem nicht Korrumpierten, nach dieser immer lebendigen Hoffnung und der Sonne des Südens.

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