Dienstag, 16. August 2011

Weltmarkt

Trotz der Sehnsucht nach dem brodelnden Süden und seinen Bewohnern, die in mir Vibrationen auslösen, welche in alle Richtungen ausschlagen, hat das Leben in der Großstadt gewisse Vorteile. So kann ich beispielsweise einem meiner favourite sport and pastime nachgehen, anderen Leuten in öffentlichen Verkehrsmitteln zuzuhören nämlich.
Als ich mit den Kindern im Autobus stehe, der uns ins städtische Schwimmbad bringen wird, höre ich eine junge und nasale männliche Stimme hinter mir. Seinen Gesprächspartner höre ich kaum, aber es geht um ein Buch. Enttäuschend oder hochgelobt, mir ist es nicht ganz klar und natürlich denke ich, sie reden über das selbe Buch, das mich im Moment gerade interessiert, nämlich "Schoßgebete" von Charlotte Roche, ich habe nämlich ein Interview mit der Autorin gelesen. Ich spitze die Ohren und vermute, das Wort "Sex" zu hören. Dann sagt der junge Mann hinter mir laut und deutlich: "Ich kann das nicht leiden, wenn jemand mit seiner eigenen Meinung versucht, den Weltmarkt zu erobern." Ich wiederhole diesen Satz in meinem Inneren. Ich möchte mich umdrehen und dem Jüngling sagen: "Mit wessen Meinung soll der Autor denn den Weltmarkt erobern? Mit ihrer, junger Mann? Mit meiner?" Dann beginnt der Rallyefahrer, Konversation zu betreiben. Ich möchte ihm sehr gerne sagen, dass er still sein soll, weil ich dem Gespräch hinter mir lauschen will, aber das ist mir peinlich. Außerdem fragt sich der Rallyefahrer, warum der letzte Harry Potter Film außerhalb Italiens früher gespielt wird. Da ich ja selbst es war, die den Kindern verschwiegen hat, dass Harry Potter ins Kino gekommen ist, um mir das 3D- Erlebnis in jeder Hinsicht zu ersparen, fühle ich mich bemüßigt, ihn mit vielen in die Zukunft weisenden Worten zu trösten. Als ich mich endlich wieder meiner eigentlichen Tätigkeit des Belauschens widmen kann, ist das Buchkapitel abgeschlossen und man spricht über Salzburg. Festspiele nehme ich an. Dann bleibt der Bus stehen, weil ein anderer Bus kreuzt und die beiden Busfahrer miteinander sprechen. "Der glaubt, nur weil er hoch ist, kann er überall stehen bleiben.", sagt der mieselsüchtige Weltmarktexperte. In Kalabrien müsste er am ersten Tag eine Bombe werfen. Da bleiben alle Autos irgendwann irgendwo stehen, weil sich die Autofahrer austauschen möchten.
Ich drehe mich um, der junge Mann ist doppelt so groß wie ich, sehr dünn, und trägt eine Brille. Ich beneide ihn nicht um seinen Gemütszustand. Ich würde gerne sagen: "Hey Alter, als ich so alt war wie du, war es das absolute Muss eine eigene Meinung zu haben. Die Voraussetzung für den Weltmarkt, capisci?"

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