Samstag, 28. April 2012

Home is where...

Schon wieder fahren wir zur Dottoressa Francesca und es ist umwerfendes Wetter. Das Kind fragt wie üblich ob das Pollinogebirge die Alpen sind und ich denke wie üblich, dass die Schule das Kind verwirrt. Ich habe dem Kind viel zu essen mitgebracht. Ich bin offensiv. Ich weiß, das Kind kommt aus der Schule und sagt: Ist etwas zu essen im Auto? Normalerweise werde ich dann argumentativ und sage: Aber du hast doch erst zu Mittag gegessen, oder: Nein, daran habe ich nicht gedacht usw. Heute habe ich einen ganzen Plastiksack mit Essen voll gepackt und darüber seine Zahnregulierung vergessen, was blöd ist, wenn man zum Zahnarzt zur Kontrolle fährt. Zum Glück sind die Brüder des Kindes immer bereit, in einem Sprint-Marathon die Zahnregulierung nachzutragen. 
Mein Schulfreund, an den ich immer denken muss, wenn wir in die Zahnklinik fahren, weiß jetzt Bescheid und ich kann also aufhören, an ihn zu denken. Ich fühle mich frei und leicht. Ich freue mich, dass ich nicht mehr an die Vergangenheit denken muss, sondern an die Zukunft denken kann. Die Berge sind so steil, das keine Häuser darauf gebaut wurden, wie auf den Hügeln bei uns, das ist tröstlich. Das Meer um die Insel ist hell und türkis und unbewegt, ich denke an das Wort Eiskonfekt, aber ich glaube, ich meine etwas anderes, blaue Zuckerln, wie heißen die denn, jetzt fällt es mir wieder ein: Gletschereis. Die haben wir im Kino gegessen, als die Kinos noch klein waren und die Holzstühle ungepolstert und 3D sich auf Comixhefte bezog, die man mit einer rot-grünen Brille anschaute. Bei Dottoressa Francesca ist alles in Ordnung, der Zahn, der erst weg vom Körper wachsen wollte wurde begradigt. Das Kind ist guter Laune, immerhin hat es einen Apfel, eine Packung Crackers, ein Cornetto, ein Stück Pizza und etwas Schokolade gegessen.
Wir fahren in unseren Ort zurück, der auf eine Art zu Hause geworden ist. Für das Kind, weil seine Tanzschule dort ist, für mich, weil dort mein Bett steht, neben dem mein Buch liegt. Das Kind geht tanzen und ich ins Eisenwarengeschäft. Ich tausche den Schlauch für den Gasherd um, ich tausche einen Stöpsel für ein Waschbecken um und ich gebe den Schlauch für die Waschmaschine zurück. Ich rufe MM an und frage, was wir sonst noch brauchen und er sagt, unsere Nachbarin sei zu Besuch und hätte eine wunderbare Crostata mitgebracht. Ich denke, dass Teresas Herd endlich repariert wurde, aber als ich nach Hause komme, bin ich sehr erstaunt, dass die coole Nachbarin, die Ärztin, die zu Teresa gesagt hat, sie soll abnehmen und dass hier alle wie die Schweine fressen würden, gemeinsam mit meinem Mann meinen Prosecco weggetrunken hat. Ich bin auch sehr überrascht, dass sie lange geblieben ist. Ich frage: Seid ihr rausgegangen? Nein, wir sind hier gesessen und haben Prosecco getrunken. Ich rieche aber gar kein Nikotin. Ich hätte gedacht, dass die coole Nachbarin nicht länger als 10 Minuten nichtrauchend verbringen kann. Es ist der erste Tag seit langem, an dem ich so früh aus dem Haus gegangen bin, dass das Frühstücksgeschirr noch auf dem Tisch in der Küche stand und die Kinder nur Brote zu Mittag gegessen hatten. Dem 14-jährigen Sohn sei Dank, dass ein frisches Tischtuch auf dem Tisch lag und nicht nur die Brösel vom vorabendlichen Essen. Im Wohnzimmer habe ich meine Nähmaschine aus den 70er Jahren aufgebaut, mittels der ich vorhabe, die Vorhänge kürzer zu machen, bevor meine Schwägerin zu Besuch kommt. Ja, wir haben nämlich Vorhänge. Wir haben auch geputzte Fenster. Und wir haben viele Bücher, was angeblich den Mann der Nachbarin interessieren wird. Wo ist der denn, während ich im Eisenwarenladen bin und seine Frau mit meinem Mann meinen Prosecco trinkt? 
Teresa hat sich übrigens gegen die Ärztin gewehrt und gesagt, dass die niemanden was essen lasse, ihr armer Mann müsse mit einem Mozzarella abends sein Auskommen finden. Kein Wunder, dass er dann den Nachbarn, Teresas Bruder fragt, ob er nicht was Anständiges zu essen hätte. Manchmal sage er, seine Frau komme heute nicht aus dem Dorf hierher nach oben und dann würde er mit Teresas Bruder Würste essen und Wein trinken. Und um elf Uhr vormittags käme dann auf einmal seine Frau. Eine Gemeinheit, findet Teresa. 
Mir gefällt sie ja, die Nachbarin die, wie MM es ausdrückt, dünn wie ein Spaghetto ist. 
Obwohl ich jetzt zugebe, dass ich von ihr geträumt habe. Sie hat Giftmüll in einem kleinen Teich unterhalb unserer Häuser versenkt. Den gibt es in Wirklichkeit nicht. In meinem Traum, der mich auf einer Reise heimgesucht hat, war er aber in milden Nebel getaucht, durchaus romantisch und mit gelben Blümchen umstanden. Mir fiel das Reden schwer: Warum hast du das getan? Sie schaut mich spöttisch an. Irgendwer muss es ja tun, sagte sie. Mir ist klar, dass sie eine Menge Geld dafür bekommen hatte. Ich bin wie gelähmt, ich muss meine Kinder von dort wegbekommen.
Solche Träume habe ich, seit wir das Haus haben. Ich mag das Haus und ich möchte jede Fliese einzeln küssen, vor allem seit ich sie geputzt habe. Ich mag das kleine Stück Land herum und ich möchte jedes Unkraut küssen, das meinen Salat verbirgt. Aber was immer schon mein Credo war, stellt sich als Wahrheit heraus: Besitz macht unfrei. Macht Angst. Wenn man nichts hat, hat man nichts zu verlieren. Ich möchte nicht, dass jemand Giftmüll hier versenkt, nicht in den Seen meiner Träume, nicht im wirklichen Meer. Ist das  die Zukunft, der ich mich widmen muss? Na Prost, da geh ich gleich schauen, ob der Mann der Nachbarin vielleicht gerade zufällig mit Teresas Bruder was Anständiges isst und trinkt.

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